Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen überhöhter Belastungsgrenze für Zuzahlungen zu Krankenkassenleistungen

Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 95/2023 vom 3. November 2023 – Beschluss vom 22. September 2023, 1 BvR 422/23

“Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen eine sozialgerichtliche Entscheidung über die Höhe der Belastungsgrenze für Zuzahlungen zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung richtet. Die Sache wird an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Gesetzlich Krankenversicherte müssen zu bestimmten Krankenkassenleistungen Zuzahlungen erbringen. Diese Zuzahlungen sind begrenzt durch eine Belastungsgrenze von regelmäßig 2 % des jährlichen Bruttoeinkommens. Für Bezieher bestimmter Sozialleistungen wird die Belastungsgrenze nach der Regelbedarfsstufe 1 des SGB XII bestimmt, sodass ihnen geringere Zuzahlungen zugemutet werden.

Die gesetzlich versicherte Beschwerdeführerin lebt in einem Pflegeheim. Mit Ausnahme eines Betrags von 143,92 Euro setzte sie ihre gesamte Altersrente für den Eigenanteil an den Heimkosten ein. Auf Antrag der Beschwerdeführerin setzte ihre Krankenkasse die Belastungsgrenze für Zuzahlungen von 132,04 Euro für das Jahr 2022 fest, wobei sie ihre, im Vergleich mit der Regelbedarfsstufe 1 höheren Renteneinkünfte heranzog.

Krankenkassen fordern Höchstbeiträge von Kleinselbstständigen nach

PM der Verbraucherzentrale Hamburg: Bei den Verbraucherzentralen melden sich seit Jahresbeginn zahlreiche freiwillig krankenversicherte Kleinselbstständige, die von ihrer Krankenkasse ungewöhnlich hohe Beitragsnachforderungen für 2019 erhalten. Die Betroffenen sollen den Höchstbeitrag von rund 900 Euro monatlich zahlen, weil sie den Steuerbescheid für 2019 nicht rechtzeitig binnen einer Dreijahresfrist vorgelegt haben. Der Steuerbescheid ist in diesen Fällen die Grundlage für die Berechnung der Beitragshöhe. Reichen die Betroffenen die Steuerbescheide nach, bestehen die Kassen weiter auf ihren Forderungen. Die Verbraucherzentralen halten dieses Vorgehen für völlig überzogen und rechtswidrig.

Nachforderungen von bis zu 8.000 Euro

Betroffen sind freiberuflich Tätige wie Fußpflegerinnen, Friseurinnen oder Kioskbesitzer, die meist nur sehr geringe Einkünfte erzielt haben. Die Folgen sind massiv: In den vorliegenden Fällen sind Versicherte mit Nachforderungen von bis zu 8.000 Euro konfrontiert. Anstatt die realen Einnahmen für die Beitragsberechnung heranzuziehen, verlangen die gesetzlichen Krankenkassen den Höchstbeitrag. „Faktisch zahlen die Betroffenen also Beiträge auf Einnahmen, die sie gar nicht hatten. Teilweise ist der Krankenkassenbeitrag höher als die monatlichen Einnahmen der Mitglieder“, kritisiert Yvonne Vollmer von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Nachgereichte Unterlagen bleiben unberücksichtigt

Die Krankenkassen berufen sich auf das Sozialgesetzbuch V. Seit 2018 regelt Paragraf 240 Absatz 4a Satz 4, dass freiwillig gesetzlich Versicherte drei Jahre Zeit haben, ihren Einkommenssteuerbescheid zur Beitragsberechnung einzureichen. Tun sie dies nicht, legt die Krankenkasse zunächst den Höchstbeitrag fest. „Aus unserer Sicht bedeutet das aber nicht, dass nachgereichte Unterlagen im Widerspruchsverfahren unberücksichtigt bleiben dürfen und die Beitragsnachforderung faktisch unveränderlich ist. Werden neue Tatsachen bekannt, muss eine falsche Entscheidung korrigiert werden“, so Vollmer. „Im Sozialrecht sind richtige Entscheidungen wichtiger als Fristen.“

6,0 % mehr Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Ende 2022

Knapp 1,2 Millionen Personen haben im Dezember 2022 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bezogen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren das knapp 67 000 beziehungsweise 6,0 % mehr als im Dezember 2021.

Knapp 659 000 beziehungsweise 55,4 % der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung erhielten im Dezember 2022 Grundsicherung im Alter. Das heißt, sie hatten die Altersgrenze nach dem (SGB XII) erreicht oder überschritten. Dies entspricht einem Anstieg von 11,8 % gegenüber dem Vorjahresmonat. Vor dem Jahr 1947 geborene Personen erreichten die Altersgrenze mit 65 Jahren; für 1947 und später Geborene wird die Altersgrenze seit dem Jahr 2012 schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Im Dezember 2022 lag die Altersgrenze daher bei 65 Jahren und 11 Monaten. 

Rund 531 000 beziehungsweise 44,6 % der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung waren im Alter ab 18 Jahren bis unter die Altersgrenze. Sie erhielten die Leistung aufgrund einer dauerhaft vollen Erwerbsminderung. Das bedeutet, sie konnten aufgrund einer Krankheit oder Behinderung für einen nicht absehbaren Zeitraum täglich keine drei Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Ihre Zahl ging gegenüber dem Vorjahresmonat um 0,5 % zurück. 

Elektronischer Datenaustausch der Bundesagentur für Arbeit mit den gesetzlichen Krankenkassen

“Kundinnen und Kunden, die Arbeitslosengeld beantragen, brauchen keine Papierbescheinigungen (bspw. über den Krankengeldbezug) mehr bei der Krankenkasse einholen und bei der BA vorlegen. Auch Mitgliedsbescheinigungen in Papierform entfallen, denn die Krankenkassen melden automatisch die Krankenkassenmitgliedschaft ihrer Kundinnen und Kunden an die BA.

Ab Juli 2023 wird auch die Deutsche Rentenversicherung am Datenaustauschverfahren teilnehmen. Die beiden Behörden werden dann bestehende Erstattungsansprüche untereinander auf elektronischem Weg abwickeln. 

Ab Januar 2024 wird es der BA dann auch gesetzlich möglich sein, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) von Kundinnen und Kunden der Agenturen für Arbeit bei den Krankenkassen abzurufen. Bis dahin müssen Kundinnen und Kunden der Agenturen weiterhin eine AUB im Krankheitsfall oder bei Arbeitsunfähigkeit vorlegen. 

Elektronischer Datenaustausch der Bundesagentur für Arbeit mit den gesetzlichen Krankenkassen

“Kundinnen und Kunden, die Arbeitslosengeld beantragen, brauchen keine Papierbescheinigungen (bspw. über den Krankengeldbezug) mehr bei der Krankenkasse einholen und bei der BA vorlegen. Auch Mitgliedsbescheinigungen in Papierform entfallen, denn die Krankenkassen melden automatisch die Krankenkassenmitgliedschaft ihrer Kundinnen und Kunden an die BA.

Ab Juli 2023 wird auch die Deutsche Rentenversicherung am Datenaustauschverfahren teilnehmen. Die beiden Behörden werden dann bestehende Erstattungsansprüche untereinander auf elektronischem Weg abwickeln. 

Ab Januar 2024 wird es der BA dann auch gesetzlich möglich sein, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) von Kundinnen und Kunden der Agenturen für Arbeit bei den Krankenkassen abzurufen. Bis dahin müssen Kundinnen und Kunden der Agenturen weiterhin eine AUB im Krankheitsfall oder bei Arbeitsunfähigkeit vorlegen. 

BGH: an die Pflegeperson weitergeleitetes Pflegegeld ist unpfändbar

Hier der Hinweis auf den Beschluss des BGH vom 20.10.2022 – IX ZB 12/22 mit dem Leitsatz:

Das an die Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld ist unpfändbar.

Aus der Entscheidung: [Der Insolvenzverwalter] hat beantragt, bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens das Arbeitseinkommen mit dem Pflegegeld zusammenzurechnen, welches die Schuldnerin für die Versorgung des bei ihr wohnenden autistischen Sohnes erhält. (…)

Pflegegeld wird gewährt, wenn der Pflegebedürftige in seiner häuslichen Umgebung oder im Haushalt einer Pflegeperson gepflegt wird, und soll die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen stärken, der mit der Geldleistung seine Pflegehilfen selbst gestalten kann (BT-Drucks. 12/5262, S. 112 zu § 33). Das Pflegegeld stellt seiner Konzeption nach kein Entgelt für die von der Pflegeperson erbrachten Pflegeleistungen dar. (…) Der Konzeption des Pflegegeldes liegt der Gedanke zugrunde, dass familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht wird (vgl. BVerfG, FamRZ 2014, 911 Rn. 21). Das Pflegegeldergänzt sie nur (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI). (…)

Auch Heimbewohner können Anspruch auf Corona-Einmalzahlung haben

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2022, Aktenzeichen L 2 SO 1183/22.

Zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen können auch in stationären Heimen lebende Leistungsberechtigte vom Sozialhilfeträger eine Einmalzahlung von 150 € beanspruchen, wenn sie im Mai 2021 einen Barbetrag und eine Bekleidungspauschale bezogen haben.

Diese stellten Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII (als eine Voraussetzung für den Anspruch auf eine Covid-19-Einmalzahlung nach § 144 S. 1 SGB XII) dar. Obwohl die Leistungen der Stadt S an den K auf ein Konto des Pflegeheims überwiesen wurden, seien die Bekleidungsbeihilfe und der Barbetrag an K ausgezahlt worden. Denn K habe Barbetrag und Bekleidungspauschale zur persönlichen Verfügung gestanden und einen Anspruch gegen das Heim auf Überlassung dieser Beträge zu seiner freien Verfügung gehabt. Insofern sei somit von einer Auszahlung dieser Beträge an K auszugehen. Der Senat hat die Revision an das Bundesozialgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Quelle: PM des Gerichts

Hunderttausende in Deutschland nicht ausreichend krankenversichert

“Inflation, wachsende Armut, die Versorgung von Geflüchteten – das deutsche Gesundheitssystem ist den aktuellen Herausforderungen nicht gewachsen. Davor warnt eine zivilgesellschaftliche Allianz anlässlich des heutigen Welttags der allgemeinen Gesundheitsversorgung.

Die Bundesregierung muss zügig Maßnahmen ergreifen, um Gesundheitsversorgung für alle Menschen in Deutschland zu gewährleisten und diskriminierende Hürden abzubauen. Das fordern die NGO Ärzte der Welt, die Diakonie Deutschland und die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gemeinsam mit der neu gegründeten Bundesarbeitsgemeinschaft Anonymer Krankenschein- und Clearingstellen (BACK). (…)

Offizielle Daten, wer in Deutschland nicht krankenversichert ist, sind unzureichend. Zum besseren Verständnis des Problems will Ärzte der Welt mit seinem heute erscheinenden Gesundheitsreport beitragen. “60 Prozent der Patient*innen haben angegeben, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten darauf verzichtet haben, eine Arztpraxis oder Klinik aufzusuchen, obwohl sie krank waren. Bei obdachlosen Patient*innen waren das über 80 Prozent“, sagt Ärzte der Welt-Referentin Janina Gach. (…)

Angesichts der sich zuspitzenden Lage fordern die Organisationen und Verbände die Bundesregierung auf, endlich zu handeln, und folgende Maßnahmen zu ergreifen:

iff-Überschuldungsradar 2022/32: Überschuldung, Krankheiten und medizinische Versorgungsprobleme – Wege aus dem Teufelskreis durch Public Health Maßnahmen

Hier der Hinweis auf den aktuellen iff-Überschuldungsradar. Unter dem Titel “Überschuldung, Krankheiten und medizinische Versorgungsprobleme – Wege aus dem Teufelskreis durch Public Health Maßnahmen” widmen sich Eva Münster, Jacqueline Warth und Klaus Weckbecker dem Thema Krankheit und Überschuldung sowie den Zusammenhängen und Wechselwirkungen.

Neues Angebot: Digitale Suchtberatung

PM der Sozialbehörde Hamburg: “Wer eine Sucht entwickelt hat, sollte sich möglichst früh Hilfe holen. Viele greifen allerdings erst spät zur Hilfe durch Fachleute. Ein neues Online-Angebot soll Abhilfe schaffen. Kostenfrei und anonym gibt es künftig Hilfe per Klick aus verlässlicher Hand. Das neue Angebot suchtberatung.digital ist ab heute bundesweit verfügbar.

Das Beratungsangebot ist ab sofort auf www.suchtberatung.digital direkt über den Internetbrowser auf allen üblichen Endgeräten (Smartphone, Tablet, Laptop) nutzbar, es wird keine App oder Software benötigt. Über die Eingabe von Postleitzahl, Alter und Geschlecht gelangen die Hamburgerinnen und Hamburger zu ihrem spezifischen Beratungsangebot.

Mit einem Selbsttest kann überprüft werden, ob ein problematisches Verhalten vorliegt. Falls dies der Fall ist, bietet ein Online-Tool die Möglichkeit zur Selbstkontrolle: Mit einem Konsumtagebuch kann beispielsweise die Konsummenge und -häufigkeit dokumentiert werden, um ein konkretes Bild der Sucht zu erlangen.