Unzulässige Richtervorlage zu den Pfändungsfreigrenzen

Arg kurz ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. August 2023 – 1 BvL 4/22, mit der die Richtervorlage des Amtsgerichts Aue-Bad Schlemavom 29. November 2022 – 2 M 2596/20 – als unzulässig verworfen wurde.

Der Vorlage lag ein Zwangsvollstreckungsverfahren zugrunde. Es bestand Streit über die Erhöhung des unpfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens dahingehend, ob bei der Festlegung des unpfändbaren Betrags im Haushalt lebende Kinder zu berücksichtigten sind, für die keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht.

Das Amtsgericht hatte das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Vorschriften der Pfändungsfreigrenzen nach §§ 850c und f ZPO „im Hinblick auf Art. 3, 6, 20 GG“ verfassungsgemäß seien.

Das Bundesverfassungsgericht monierte nun, dass das Gericht weder den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angegeben noch sich hinreichend mit der Rechtslage und den dazu vertretenen unterschiedlichen Rechtsauffassungen auseinandergesetzt habe.

Vortrag Joachim Schaller: Sind die BAföG-Bedarfssätze für Studierende verfassungswidrig?

Joachim Schaller hält am 26.10.2023 an der Universität Hamburg einen Vortrag zum Thema: “Sind die BAföG-Bedarfssätze für Studierende verfassungswidrig?” – siehe Plakat – daraus:

Die Ausbildungsförderung nach dem Bundes­ausbildungs­förderungs­gesetz (BAföG) sieht aktuell als Bedarf für Lebensunterhalt und Ausbildungskosten monatlich 452 € sowie 360 € für Unterkunftskosten für nicht bei den Eltern lebende Studierende vor. Demgegenüber steht im SGB II und SGB XII ein Regelbedarf von 502 €, der zum 1.1.2024 auf 563 € steigen soll, und die Übernahme angemessener Kosten der Unterkunft und Heizung, die in Hamburg und fast allen Hochschulorten meist deutlich höher als 360 € sind.

Gilt das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum auch für Studierende oder gibt es ein Grundrecht auf eine menschenwürdige Ausbildungsförderung, wie es vom Bundesverwaltungsgericht im Vorlagebeschluss vom 20.5.2021 – 5 C 11.18 – entwickelt wurde? Über diesen will das Bundesverfassungsgericht noch 2023 entscheiden.

Rechtsanwalt Joachim Schaller vertritt die Klägerin des Ausgangsverfahrens, in dem es um die BAföG-Höhe in den Jahren 2014/2015 geht. Er wird in dem Vortrag die unterschiedlichen Argumente der Klägerin, des BVerwG und der Bundesregierung im Normenkontrollverfahren BVerfG 1 BvL 9/21 und deren Folgen für die BAföG-Bedarfssätze und die Studierenden, die aktuell BAföG bekommen, zur Diskussion stellen.

Am Donnerstag, 26. Oktober 2023, Beginn: 18:15 Uhr im EG 18/19
Rechtshaus Rothenbaumchaussee 33

BGH zur Prüfpflicht des Insolvenzverwalters bezüglich Schuldnerkonten

Hier der Hinweis auf die Entscheidung des BGH vom 27.07.2023 – IX ZR 138/21 – Leitsätze:

  1. Der Insolvenzverwalter hat die ihm bekannten Konten der Hausbank des Schuldners innerhalb eines angemessenen Zeitraums darauf zu überprüfen, ob ihm die Kontounterlagen vollständig vorliegen und die Kontounterlagen Anhaltspunkte für anfechtungsrelevante Vorgänge enthalten.
  2. Grob fahrlässige Unkenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs setzt voraus, dass der Insolvenzverwalter seine Ermittlungspflichten in besonders schwerer, auch subjektiv vorwerfbarer Weise vernachlässigt hat.
  3. Hinsichtlich eines in den Drei-Monats-Zeitraums der Deckungsanfechtung fallenden Anfechtungstatbestandes liegt regelmäßig grob fahrlässige Unkenntnis vor, wenn der Insolvenzverwalter die Überprüfung der ihm bekannten von der Hausbank des Schuldners geführten Konten für mehr als drei Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterlässt und sich ihm aufgrund der aus den Kontounterlagen erkennbaren Zahlungsvorgänge und der ihm bekannten sonstigen Tatsachen weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen.

Verbändebündnis fordert neue Regeln für Inkasso

Das Inkassorecht muss dringend überarbeitet werden, fordert ein Bündnis aus Verbraucherzentralen, vzbv und weiteren Verbraucherverbänden. [Anmerkung: hier direkt zum sehr lesenswerten Positionspapier mit den Forderungen] Die aktuellen gesetzlichen Regelungen haben Schlupflöcher, die von Inkassounternehmen ausgenutzt werden und Verbraucher:innen in Deutschland finanziell belasten.

„Tausende Verbraucher:innen beschweren sich jedes Jahr bei den Verbraucherzentralen über Inkassodienstleister. Überhöhte Inkassokosten können besonders für einkommensschwache und überschuldete Menschen zu einer echten Bedrohung werden“, sagt Ramona Pop, Vorständin des vzbv. „Die Inkasso-Reform vor zwei Jahren war halbherzig, Kernprobleme wurden nicht angegangen. Der Bundesjustizminister sollte gründlich nachbessern – besonders in der aktuellen Preiskrise wäre das eine deutliche Erleichterung für viele Verbraucher:innen.“ (…)

Das Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Inkassodienstleister und Schuldner ist kompliziert und oft kaum verständlich. Verbraucher:innen werden mit Inkassokosten konfrontiert und können nicht prüfen, welche Vergütung zwischen Gläubiger und Inkassodienstleister vereinbart und gezahlt wurde.

Die Verbraucherschützer fordern, dass Inkassodienstleister beim Erheben von Inkassokosten den konkreten Schaden nachweisen müssen, also die vom Gläubiger an den Inkassodienstleister geleistete Zahlung. Damit soll eine Weitergabe fiktiver Inkassokosten verhindert werden.

Marcel Fratzscher: Die populistische Debatte um das Bürgergeld

Marcel Fratzscher vom Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) widmet sich in seinem Blog der Debatte um die Erhöhung des Bürgergeldes.

Er meint: “Das Fatale dieser Diskussion ist, dass sie von populistischen und falschen Argumenten geprägt wird. Es ist höchste Zeit, mit den Mythen aufzuräumen.”

Nachzulesen unter www.diw.de

Siehe auch “Vorsicht, vergiftete Erzählungen!” von Barbara Dribbusch in der taz. Schon ein wenig älter, nämlich vom 2.9.2023, aber immer noch lesenswert!

Regierungsentwurf: Inflationsausgleich für rechtliche Betreuerinnen und Betreuer

Rechtliche Betreuerinnen und Betreuer sollen eine Sonderzahlung erhalten, um die finanzielle Mehrbelastung abzufedern, die ihnen infolge der Inflation entstanden ist. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den die Bundesregierung gestern auf Vorschlag des Bundesministers der Justiz beschlossen hat. Von der Sonderzahlung sollen Betreuungsvereine, selbständige berufliche Betreuerinnen und Betreuer und auch ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer profitieren. Der Gesetzentwurf sieht daneben eine Änderung des Betreuungsorganisationsgesetzes vor, um ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer bei der Prüfung ihrer persönlichen Eignung und Zuverlässigkeit zu entlasten.

Quelle und mehr: Pressemitteilung des BMJ

Bundesrat: “Auskömmliche Finanzierung der Jobcenter mit Eingliederungs- und Verwaltungsbudget im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sicherstellen”

Heute hat der Bundesrat eine Entschließung mit dem Titel “Auskömmliche Finanzierung der Jobcenter mit Eingliederungs- und Verwaltungsbudget im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sicherstellen” gefasst, die unter Drucksache 292/23 (Beschluss) nachlesbar ist. Daraus:

“Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, für die kommenden Jahre, insbesondere mit Blick auf das Haushaltsjahr 2024 eine auskömmliche Mittelausstattung für die Jobcenter im Eingliederungsbudget, einschließlich Verpflichtungsermächtigungen, im Verwaltungskostenbudget sowie an Mitteln für die berufsbezogene Deutschsprachförderung durch den Bund sicherzustellen und dies auch in zukünftigen Haushaltsplänen abzubilden.

Der Bundesrat unterstreicht, dass unzureichende Haushaltsansätze verhindern, dass die Jobcenter perspektivisch die notwendigen Förderungen für eine erfolgreiche Integrationsarbeit sicherstellen können. (…)

Die Bundesregierung plant, Menschen unter 25 Jahren im Bürgergeldbezug ab 2025 vermittlerisch nicht mehr von den Jobcentern, sondern von den Agenturen für Arbeit betreuen zu lassen. Damit soll der Bundeshauthalt um rund 900 Millionen Euro entlastet werden. Demgegenüber stehen jedoch Mehrausgaben im Bereich der Arbeitslosenversicherung von rund einer Milliarde Euro, die aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung finanziert werden sollen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, von diesen Plänen Abstand zu nehmen. (…)

vzbv: Verbraucher:innen können Verträge mit nowenergy, primastrom und voxenergie vorzeitig beenden

vzbv-Meldung: “Sie wurden von nowenergy, primastrom oder voxenergie (alles Töchter der primaholding GmbH) angerufen? Ihnen wurde bei dem Telefonat ein Strom- oder Gaslieferungsvertrag zu unerwartet hohen Preisen aufgeschwatzt? Dann haben Sie nach Auffassung des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gute Chancen, diesen Vertrag vorzeitig zu beenden. Eventuell können Sie bereits gezahlte Abschläge sogar vollständig zurückverlangen. Selbst wenn Sie bereits Strom- oder Gas bezogen haben.

Der vzbv hilft Ihnen, wenn Sie den Vertrag kündigen oder widerrufen wollen. Dafür prüft er eine Sammelklage, um die Unternehmen notfalls gerichtlich zu zwingen, dass sie die Forderungen der betroffenen Verbraucher:innen erfüllen. 

Hier erhalten Sie auch einen Musterbrief, um Ihre Kündigung oder Ihren Widerruf zu erklären bzw. Ihre sonstigen Ansprüche (z.B. wegen unzulässiger Preiserhöhung) geltend zu machen.”

Und hier: “Die Unternehmen der primaholding-Gruppe belehren in Verträgen für Strom und Gas nach Ansicht des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) unzureichend über das Widerrufsrecht. Der vzbv prüft daher eine Sammelklage gegen die primaholding GmbH und bittet Betroffene, sich online unter www.sammelklagen.de/primaholding zu melden.”

Kabinett beschließt Kindergrundsicherung

Vorgestern hat das Bundeskabinett die Einführung einer Kindergrundsicherung beschlossen. Dazu:

Bundessozialgericht zum Leistungsausschluss von Unionsbürger*innen: Anspruch auf SGB II nach fünf Jahren Aufenthalt auch ohne durchgehende Wohnsitzanmeldung

Die GGUA Flüchtlingshilfe meldet: “Das Bundessozialgericht hat (…) eine wichtige Frage zum SGB-II-Leistungsanspruch von Unionsbürger*innen (und anderen nicht-deutschen Staatsangehörigen) geklärt, die bislang sehr umstritten war: Der Anspruch auf Leistungen nach SGB II (und SGB XII) wegen eines „verfestigten Aufenthalts“ nach fünf Jahren ist nicht von einer durchgehenden Wohnsitzanmeldung abhängig. Vielmehr reicht eine erstmalige Wohnsitzanmeldung, die die Fünf-Jahres-Frist auslöst. (BSG, Urteil vom 20. September 2023, B 4 AS 8/22 R, es gibt dazu bislang nur den Terminbericht und noch nicht das schriftliche Urteil). (…)

Das Bundessozialgericht hat nun entschieden, dass es keineswegs auf die durchgehende Wohnsitzanmeldung ankommt, sondern nur auf die erstmalige Anmeldung. Denn diese habe für den Fristbeginn der fünf Jahre „konstitutive Wirkung“. (…)

Das Urteil ist von großer Bedeutung insbesondere für EU-Bürger*innen, die schon lange in Deutschland leben, unter Umständen wohnungslos sind und z.B. wegen Arbeitslosigkeit oder Erwerbsunfähigkeit kein anderes Freizügigkeitsrecht erfüllen. Nach fünf Jahren Aufenthalt unterliegen sie gem. § 7 Abs.1 S. 4 SGB II nicht mehr dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Vorher würde nur ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 5ff SGB XII bestehen.

Wichtig ist: Anders als dies manchmal angenommen wird, besteht in den allermeisten Fällen natürlich auch schon vor fünf Jahren ein Leistungsanspruch. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer*in, die Fortgeltung des Arbeitnehmer*innenstatus oder ein Freizügigkeitsrecht als Familienangehörige erfüllt ist. In der Broschüre „Ausgeschlossen oder privilegiert“ des Paritätischen Gesamtverbands gibt es dazu ausführliche Informationen.”