Sozialrecht-Justament 7/2024: Die »wiederholte Antragstellung« nach § 28 SGB X und ihre Probleme in der Praxis

Hier der Hinweis auf die aktuelle Ausgabe des stets lesenswerten Sozialrecht Justament von Bernd Eckhardt.

Die Komplexität des Systems der sozialen Sicherung führt oftmals dazu, dass eine Sozialleistung beantragt wird, deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind und gleichzeitig die zutreffende Sozialleistung nicht beantragt wird. Hier greift die wiederholte Antragstellung nach § 28 SGB X.

Dessen Absatz 2 beschreibt die häufigsten Anwendungsfälle, bei denen sich herausstellt, dass die Leistungsvoraussetzungen der vorrangigen Leistung nicht erfüllt sind.

Ein typisches Beispiel: Es wird Arbeitslosengeld nach dem SGB III beantragt, aber abgelehnt, weil die Anwartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist nicht erfüllt ist. Oder: Es wird Kinderzuschlag beantragt, der aber abgelehnt wird, weil die Hilfebedürftigkeit nicht überwunden wird

FR-Online: Inkasso-Stellen bedrängen Minderjährige

Hier der Hinweis auf den Beitrag der Frankfurter Rundschau mit dem Titel „Inkasso-Stellen bedrängen Minderjährige: Dringender Handlungsbedarf für die Ampel“ von Martin Staiger.

Es geht um die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a BGB, die ja auch regelmäßig hier Thema ist (…/?s=1629a). Das gilt auch für das Jobcenter, vgl. auch § 40 Abs. 9 SGB II: § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.“

Martin Staiger berichtet nun, dass das Jobcenter nicht mehr abwarten, bis die Kinder volljährig sind, sondern bereits minderjährigen Kindern den Gerichtsvollzieher ins Haus schickt. Wie weit das mit der Fachlichen Weisung dazu https://harald-thome.de/files/pdf/media/sgb-ii-hinweise/FW%2040%2C1%20%2041a%2C%206%20-%2001.01.2023.pdf in Einklang zu bringen ist? Unter 40.18 heißt es: „Bis zur Volljährigkeit erfolgt die Inanspruchnahme/Einziehung der Forderung jeweils an den gesetzlichen Vertreter. Erst wenn ein minderjähriges Kind volljährig wird, sind die Rückforderungen mittels Zahlungserinnerung gegenüber dem nun volljährig gewordenem Kind einzuziehen.

Siehe auch die Diskussion unter www.soziale-schuldnerberatung-hamburg.de/forum/viewtopic.php?t=169

Thomé zur BGH-Entscheidung zur Rückforderung überzahlter Miete

Letzte Woche hatten wir auf BGH zur Rückforderung überzahlter Miete, wenn der Mieter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht, also Urteil vom 5. Juni 2024 – VIII ZR 150/23 hingewiesen.

Harald Thomé zu dieser BGH-Entscheidung in seinem Newsletter:

„Diese BGH-Entscheidung hat auch für vieles andere Konsequenzen. Z.B. wenn Jobcenter oder Sozialamt versehentlich die Miete auf das falsche Vermieterkonto überwiesen hat. Dann wird in der Realität oft gefordert, Betroffene sollten sich selbst drum kümmern und sich das falsch bezahlte Geld zurückzahlen lassen, leider könne derweilen die Miete für die aktuell bewohnte Wohnung nicht übernommen werden.

Diese Situation hat sich nun erledigt, denn wenn das Jobcenter selbstverschuldet an den falschen Vermieter zahlt, hat es trotzdem die Miete für die neue Wohnung zu zahlen und sich das Geld nunmehr selbst über den nach § 33  SGB II übergegangenen Anspruch zurückerstatten zu lassen.

Eine weitere klassische Fallsituation ist: JC zahlt trotz bekannter Trennung den Lebensunterhalt an den oder die vorherige BG-vorstehende und – empfangsberechtigte Person (nach § 38 SGB II). Auch hier wird in der Realität verlangt, dass Betroffene sich das Geld vom falschen Empfänger zurückholen sollten. Auch hier ist die BGH-Entscheidung klarstellend: Die antragstellende Person hat einen eigenen zu erfüllenden Anspruch. Rückforderungen wegen Überzahlungen gehen nach § 33 Abs. 1 SGB II auf das Amt über.“

Broschüre: „Familienleistungen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und ihre Angehörigen“

Hier der Hinweis auf die Broschüre: „Familienleistungen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und ihre Angehörigen„.

Aus dem Vorwort: „Auch Unionsbürgerinnen und -bürger mit ihren Familien brauchen die Stabilität, die mit finanziellen Unterstützungsleistungen einhergeht. Dank des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots haben sie ein Recht darauf, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen. (…) Wir möchten Beraterinnen und Berater dabei unterstützen, Unionsbürgerinnen und -bürgern gezielt dabei zu helfen, ihre Ansprüche auf Familienleistungen zu kennen und ihre Rechte wahrzunehmen.

Dazu haben die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) e.V. und die Gleichbehandlungsstelle EU-Arbeitnehmer (EU-GS) im Arbeitsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration diese Broschüre in Auftrag gegeben.

Sie greift wichtige Themen im Bereich der Familienleistungen detailliert auf, wie etwa das Kindergeld oder den Unterhaltsvorschuss. Sie gibt aber auch einen Überblick über Familienleistungen insgesamt. Die Inhalte berücksichtigen dabei die spezielle Situation mobiler Unionsbürgerinnen und -bürger und geben Beraterinnen und Beratern Praxistipps sowie weiterführende Hinweise.“

Bündnis ‚AufRecht bestehen‘ – Arbeitshilfe zu Kostensenkungsaufforderungen

Kostensenkungsaufforderungen – Was tun? Das Bündnis ‚AufRecht bestehen‘ hat eine Arbeitshilfe für Beziehende von Bürgergeld (SGB II) sowie Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung der Sozialhilfe (SGB XII) sowie Beratende im Bereich der Existenzsicherung entwickelt:

Arbeitshilfe_Kostensenkungsaufforderungen-was-tun.pdf

Update für 2024: Bescheinigungen des „sozialrechtlichen Existenzminimums“ nach SGB II und SGB XII

Im Rahmen des Schuldnerschutzes bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sowie bei privilegierten Aufrechnungen/Verrechnungen von Sozialleistungen ist der Nachweis des „sozialrechtlichen Existenzminimums“ von Bedeutung.

Zuverlässig wie stets hat Dieter Zimmermann dazu das jährliche Update verfasst, welches unter https://infodienst-schuldnerberatung.de/beratung/2024-bescheinigungen-des-sozialrechtlichen-existenzminimums-nach-sgb-ii-und-sgb-xii/ aufrufbar ist.

Dort gibt es dann auch diverse Vorlagen / Dateien zum Download.

Die Überschriften des Beitrags:

I. Pfändung in den Vorrechtsbereich nach § 850d ZPO
II. Pfändung in den Vorrechtsbereich nach § 850f Abs. 2 ZPO
III. Aufrechnung/Verrechnung von Sozialleistungen bis zur Hälfte
IV. Unterschiede zwischen SGB II- und SGB XII-Bescheinigung
V. Fazit

Online-Fortbildung: Sozialrecht und Schuldnerberatung – Update 2024

Hier der Hinweis auf die Veranstaltung “Sozialrecht und Schuldnerberatung – Update 2024”. Diese wird von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung in Kooperation mit uns durchgeführt und zwar online am Mittwoch, 24.01.2024, 10 – 13 Uhr.

Die Einführung der Kindergrundsicherung, Änderungen beim Mindestlohn, Pfändbarkeit von Inflationsprämie, Neuigkeiten beim Wohngeld Plus und Bürgergeld: auch 2024 stehen einige Änderungen in den Sozialgesetzbüchern ins Haus, die Einfluss auf die Arbeit der Schuldnerberatungskräfte haben dürften.

  • Wo können (neue oder geänderte) staatliche Leistungen helfen, die Einnahmenseite zu steigern?
  • Wo sollten Sie aufpassen, wenn Pfändungen ausgesprochen sind oder ein Insolvenzverfahren angestrebt wird?

Wir geben einen Überblick! Den Input gibt Margarethe Meyer – Meyer Insolvenzberatung.

Details siehe https://veranstaltungen.bag-sb.de/veranstaltungen/w1404-sozialrecht-und-schuldnerberatung-update-2024

Forderungspapier der AG SBV zur Unpfändbarkeit der Kindergrundsicherung

Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) sieht dringenden Ergänzungsbedarf zum Pfändungsschutz:

Mit der Einführung der Kindergrundsicherung sollen Kinder und Jugendliche bessere Chancen erhalten, mehr Familien und ihre Kinder mit Unterstützungsbedarf erreicht und Kinderarmut wirksam bekämpft werden. Hierzu sollen die bisherigen finanziellen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zusammengeführt werden.

Das Gesetz enthält jedoch keine separate Regelung zur (Un)pfändbarkeit der Kindergrundsicherung. Beim P-Konto durchbricht die Kindergrundsicherung die bisherige Systematik der Freibeträge. Daraus ergeben sich mehrere Probleme.

Geforderte Lösungen:
(1) Das geplante Gesetz einer Kindergrundsicherung wird dahingehend ergänzt, dass Leistungen der Grundsicherung grundsätzlich unpfändbar sind.

(2) § 902 Nummer 4 ZPO wird ergänzt: für den Fall, dass die Zahlungseingänge auf dem P-Konto inkl. Kindergrundsicherung den Grundfreibetrag plus Leistungen des § 902 Nummer 5 ZPO (Leistungen für Kinder) plus die Pauschalen des § 902 Nummer 1 ZPO, überschreiten. In diesem Fall kann die Differenz ebenfalls bescheinigt werden. Unberührt bleiben Leistungen im Sinne von § 902 Nummer 2,3 und 6 ZPO.

(3) Für nachgezahlte Kindergrundsicherung gemäß § 904 ZPO ist eine vergleichbare Lösung zu finden.

Zum Forderungspapier

Forderungen der NAK zur Sicherstellung von Leistungsansprüchen durch den analogen Zugang zu Behörden

Nationale Armutskonferenz: Digitale Angebote und Telefon-Hotlines können das persönliche Gespräch und die Beratung nicht ersetzen. Es ist Aufgabe des Staates neben der gesetzlichen Regelung von online-Zugängen (vgl. Onlinezugangsgesetz – OZG) auch weiterhin sicherzustellen, dass Bürger*innen zu den üblichen Geschäftszeiten des jeweiligen Dienstleisters / der jeweiligen Behörde / des jeweiligen Sozialleistungsträgers über einen lokalen analogen Zugang ihre Anliegen persönlich vorbringen können.

Für den Bereich der Sozialleistungen erscheint es sinnvoll, dies im Gesetz z. B. in § 16 Abs. 1 SGB I klarzustellen, dass die Anträge „formfrei, auch mündlich zu Protokoll“ gestellt werden können. Diese Ergänzung macht es für Leistungsberechtigte (und Verwaltungspersonal) deutlicher als bisher, dass sie aufgrund von fehlenden Antragsvordrucken oder Unzuständigkeit nicht abgewiesen werden dürfen. Nur durch einfachere und nachvollziehbarere Gesetze werden diese bürgerfreundlicher – und analoge Zugänge müssen weiterhin garantiert werden.

Darüber hinaus ist es Aufgabe der Sozialleistungsträger vor Ort die tatsächliche Erreichbarkeit von Mitarbeitenden zu gewährleisten. Dies muss u.a. durch die Nennung von Ansprechpersonen mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse auf Bescheiden, die Einrichtung eines Notfalltresens, an dem täglich Dokumente gegen Empfangsbestätigung abgegeben werden können, die Einrichtung einer täglichen, persönlichen Notfallsprechzeit sowie einen Scanservice für Unterlagen, die direkt in die Fallakten eingepflegt werden, erfolgen.

Zum ganzen Positionspapier

Wenn die Rente auf ein falsches Konto geht

Auf sozialberatung-kiel.de weist Helge Hildebrandt auf ein Anerkenntnis der Deutschen Rentenversicherung vor dem SG Kiel, Aktenzeichen S 7 R 2/23 ER hin:

Überweist die Deutsche Rentenversicherung (DRV) einem Rentner seine Rente auf ein von diesem nicht angegebenes Konto, muss sie das Geld vom Inhaber dieses Kontos zurückfordern und dem Rentenbezieher seine Rente unverzüglich erneut auf das richtige Konto überweisen. 

Vergleiche auch § 47 SGB I sowie unsere Beiträge SG Koblenz: Rentenversicherungsträger muss bei Zahlung aufs falsche Konto erneut zahlen und ALG II: Jobcenter muss auf das vom Leistungsempfänger bestimmte Konto zahlen.