Unzulässige Richtervorlage zu den Pfändungsfreigrenzen

Hier der Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2024, 1 BvL 4/24. Daraus:

„In dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob die Regelung von Pfändungsfreigrenzen nach den §§ 850c und f der Zivilprozessordnung (ZPO) im Hinblick auf Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungsgemäß ist – Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Aue-Bad Schlema vom 28. März 2024 – 2 M 2596/20 – hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (…) am 20. Juni 2024 einstimmig beschlossen: Die Vorlage ist unzulässig.  (…)

Im Ausgangsverfahren geht es um die denkbare Erhöhung des unpfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens wegen im Haushalt lebender Kinder, für die keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Im Haushalt des Schuldners leben, neben eigenen Kindern des Schuldners und dessen Ehefrau, deren drei Kinder, für die er nicht unterhaltspflichtig ist. (…)

Es ist insbesondere unklar, warum das Amtsgericht der Meinung ist, im Haushalt lebende Stiefkinder müssten für den Pfändungsfreibetrag wie eigene Kinder berücksichtigt werden, obwohl für sie gerade keine gesetzliche Unterhaltspflicht des Schuldners besteht, dafür aber in aller Regel eine Unterhaltspflicht Dritter, nämlich der (leiblichen) Eltern, gegeben ist.“

Zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Bedarfssatzes für Studierende

Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Vereinbarkeit des BAföG-Bedarfssatzes mit dem Grundgesetz vorgelegt, BVerwG 5 C 11.18 – Beschluss vom 20. Mai 2021, siehe Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Bedarfssatzes für Studierende.

Joachim Schaller, der die Vorlage erstritten hat, hat nun seine Webseite zu diesem Verfahren aktualisiert. Siehe www.recht-auf-studienplatz.de/bverwg-5-C-11-18.html#update21082024.

Das Update und die dort genannten Links sind sehr lesenswert!

VG Berlin: BAföG-Sätze 2021 verfassungswidrig niedrig

Die Regelungen im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) über die Höhe der Ausbildungsförderung für Studierende im Jahr 2021 verstoßen gegen das Grundgesetz. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden.

Vorlagebeschluss der 18. Kammer vom 5. Juni 2024 (VG 18 K 342/22; Entscheidung als Scan: www.recht-auf-studienplatz.de)

Die jetzt 29 Jahre alte Klägerin studierte ab 2016 Medizin an der Charité und erhielt für das Studium antragsgemäß Ausbildungsförderung. Ihre Klage auf höhere Ausbildungsförderung für das 1. Studienjahr stellte das Verwaltungsgericht auf Antrag der Klägerin und des BAföG-Amtes zurück im Hinblick auf ein beim Bundesverwaltungsgericht anhängiges Parallelverfahren (5 C 11.18). Dieses legte das Verfahren im Mai 2021 dem Bundesverfassungsgericht vor, weil es die Höhe der Ausbildungsförderung für Studierende im Jahr 2014 für verfassungswidrig hielt. [Vgl. Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Bedarfssatzes für Studierende] Das Bundesverfassungsgericht hat über die Vorlage noch nicht entschieden. Wegen der Höhe der BAföG-Leistungen für das 5. Studienjahr (Oktober 2021 bis September 2022) hat die Klägerin erneut Klage erhoben. Sie macht weiterhin geltend, die für Studierende geltenden Bedarfssätze seien in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen.

Die 18. Kammer des Verwaltungsgerichts hat die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, weil die BAföG-Regelungen zum Grundbedarf für Studierende sowie zum Unterkunftsbedarf für nicht bei den Eltern lebende Studierende mit dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten (Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes) nicht vereinbar seien.

FR-Online: Inkasso-Stellen bedrängen Minderjährige

Hier der Hinweis auf den Beitrag der Frankfurter Rundschau mit dem Titel „Inkasso-Stellen bedrängen Minderjährige: Dringender Handlungsbedarf für die Ampel“ von Martin Staiger.

Es geht um die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a BGB, die ja auch regelmäßig hier Thema ist (…/?s=1629a). Das gilt auch für das Jobcenter, vgl. auch § 40 Abs. 9 SGB II: § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.“

Martin Staiger berichtet nun, dass das Jobcenter nicht mehr abwarten, bis die Kinder volljährig sind, sondern bereits minderjährigen Kindern den Gerichtsvollzieher ins Haus schickt. Wie weit das mit der Fachlichen Weisung dazu https://harald-thome.de/files/pdf/media/sgb-ii-hinweise/FW%2040%2C1%20%2041a%2C%206%20-%2001.01.2023.pdf in Einklang zu bringen ist? Unter 40.18 heißt es: „Bis zur Volljährigkeit erfolgt die Inanspruchnahme/Einziehung der Forderung jeweils an den gesetzlichen Vertreter. Erst wenn ein minderjähriges Kind volljährig wird, sind die Rückforderungen mittels Zahlungserinnerung gegenüber dem nun volljährig gewordenem Kind einzuziehen.

Siehe auch die Diskussion unter www.soziale-schuldnerberatung-hamburg.de/forum/viewtopic.php?t=169

Jedes siebte Kind in Deutschland armutsgefährdet

Das Statistische Bundesamt meldet: „Knapp 2,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Deutschland waren 2023 armutsgefährdet. Das entspricht einer Armutsgefährdungsquote von 14,0 %, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anhand von Ergebnissen der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) mitteilt. Die Armutsgefährdungsquote von Minderjährigen lag damit leicht unter der der Gesamtbevölkerung (14,4 %). Ähnlich wie letztere ist auch die Armutsgefährdungsquote von Kindern und Jugendlichen leicht rückläufig: 2022 hatte sie bei 15,0 % gelegen (Bevölkerung insgesamt 14,8 %).

Nach EU-SILC gilt eine Person als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 % des mittleren Äquivalenzeinkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. 2023 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1 314 Euro netto im Monat, für Haushalte mit zwei Erwachsenen mit zwei Kindern unter 14 Jahren waren es 2 759 Euro netto im Monat. Um das Einkommen vollständig zu erfassen, wird das Jahreseinkommen erfragt. Dadurch beziehen sich die Fragen zum Einkommen auf das Vorjahr der Erhebung, in diesem Fall also auf das Jahr 2022. 

Kinder und Jugendliche von Eltern mit niedrigerem Bildungsabschluss besonders armutsgefährdet

Wie stark Kinder und Jugendliche von Armut bedroht sind, hängt auch von der Bildung ihrer Eltern ab. Die Armutsgefährdungsquote von unter 18-Jährigen, deren Eltern über einen niedrigeren Bildungsabschluss wie etwa einen Haupt- oder Realschulabschluss ohne beruflichen Abschluss verfügten, lag 2023 in Deutschland bei 36,8 %. Unter Kindern und Jugendlichen von Eltern mit einem mittleren Bildungsabschluss waren 14,3 % armutsgefährdet. Zu den mittleren Bildungsabschlüssen zählen beispielsweise eine abgeschlossene Berufsausbildung oder das Abitur. Hatten die Eltern einen höheren Bildungsabschluss wie etwa einen Meistertitel oder ein abgeschlossenes Studium als höchsten Abschluss, waren 5,8 % der Kinder und Jugendlichen von Armut bedroht. 

Online-Seminar “Unterhalt im Spannungsverhältnis Insolvenz”

Hiermit laden wir herzlich zum Online-Seminar

„Unterhalt im Spannungsverhältnis Insolvenz“
mit Gabriele Janlewing
am Donnerstag, 20. Juni 2024, 9 – 16 Uhr, via ZOOM ein.

Trennung und Scheidung zählen zu den „Big Five“ der Überschuldungsgründe. Der Schnittstelle zwischen Insolvenz- und Familienrecht kommt daher in der Schuldnerberatung eine besondere Bedeutung zu.

Anhand konkreter Beispielsfälle soll der Umgang mit typischen, in der Schuldner – und Insolvenzberatung vorkommende Unterhaltskonstellationen aufgezeigt werden.

Anmeldefrist: 31.3.2024, Details in der Seminareinladung, direkt zur Anmeldeseite

BAG-SB-Online-Veranstaltung: Digitalisierung, Jugendkonsum, Jugendverschuldung

An dieser Stelle der Hinweis auf die BAG-SB-Online-Veranstaltung Digitalisierung, Jugendkonsum, Jugendverschuldung am 5. Februar 2024.

Die Mindesteilnahmezahl wurde erreicht; die Veranstaltung findet statt. Es sind aber noch Plätze frei!

Der Start ins Erwachsenleben ist ein wichtiger biografischer Umbruch, der – zusammen mit Online-Werbung und Online-Bezahlsystemen – bei jungen Menschen ein enormes Verschuldungsrisiko darstellt. Nicht nur digitale Kompetenz oder ein geübtes digitales Konsumverhalten spielen dabei eine Rolle, sondern auch die soziale/familiale Herkunft. Beratungsangebote müssen diese Besonderheiten beachten und methodisch auf die besondere Zielgruppe eingehen. Präventionsangebote werden mitdiskutiert, bilden aber nicht den Schwerpunkt der Veranstaltung.

Am 05.02.2024 bringt die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V. (BAG-SB) Fachkräfte zusammen, deren Arbeitsschwerpunkt junge Menschen mit Schulden sind. Die Referierenden Prof. Dr. Marc Weinhardt (Uni Trier) und Dr. Claus Tully (FU Berlin) bieten fachlichen Input. Unter Moderation von Dr. Christoph Mattes (FH NW) und Heiner Gutbrod (Jugend-Schulden-Beratung Tübingen) gibt es zudem viel Raum für Austausch.

Anmeldung (bis 22.01.24) und weitere Infos unter https://veranstaltungen.bag-sb.de/veranstaltungen/w1400-digitalisierung-jugendkonsum-jugendverschuldung

Neue Düsseldorfer Tabelle ab dem 1. Januar 2024

Die zum 1. Januar 2024 aktualisierte Düsseldorfer Tabelle ist ab sofort auf der Internetseite des Oberlandesgerichts Düsseldorf abrufbar. Gegenüber der Tabelle 2023 sind im Wesentlichen die Bedarfssätze minderjähriger und volljähriger Kinder, die Einkommensgruppen und der dem Unterhaltspflichtigen zu belassende Eigenbedarf geändert worden.

Die Düsseldorfer Tabelle ist ein allgemein anerkanntes Hilfsmittel für die Ermittlung des angemessenen Unterhalts im Sinne des § 1610 BGB. Die in der Tabelle ausgewiesenen Richtsätze sind Erfahrungswerte, die den Lebensbedarf des Kindes ausgerichtet an den Lebensverhältnissen der Eltern und an seinem Alter auf der Grundlage durchschnittlicher Lebenshaltungskosten typisieren, um so eine gleichmäßige Behandlung gleicher Lebenssachverhalte zu erreichen (BGH, Beschluss vom 20.09.2023 – XII ZB 177/22 –, Rn. 33).

Die Tabelle wird von allen Oberlandesgerichten zur Bestimmung des Kindesunterhalts verwandt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gibt sie seit dem 1. Januar 1979 heraus. Sie wird unter Beteiligung und in Abstimmung sämtlicher Oberlandesgerichte und der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages e.V. erarbeitet und erstellt.

Die Tabellenstruktur ist gegenüber 2023 unverändert. Es verbleibt bei 15 Einkommensgruppen und dem der Tabelle zugrundeliegenden Regelfall von zwei Unterhaltsberechtigten. Die Einkommensgruppen, die zuletzt zum Jahr 2018 angehoben wurden, werden zum 1. Januar 2024 durchgehend um 200 EUR erhöht. Die erste Einkommensgruppe endet damit nicht mehr bei 1.900 EUR, sondern bei 2.100 EUR. Die 15. Einkommensgruppe endet bei 11.200 EUR (zuvor 11.000 EUR).

Forderungspapier der AG SBV zur Unpfändbarkeit der Kindergrundsicherung

Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) sieht dringenden Ergänzungsbedarf zum Pfändungsschutz:

Mit der Einführung der Kindergrundsicherung sollen Kinder und Jugendliche bessere Chancen erhalten, mehr Familien und ihre Kinder mit Unterstützungsbedarf erreicht und Kinderarmut wirksam bekämpft werden. Hierzu sollen die bisherigen finanziellen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zusammengeführt werden.

Das Gesetz enthält jedoch keine separate Regelung zur (Un)pfändbarkeit der Kindergrundsicherung. Beim P-Konto durchbricht die Kindergrundsicherung die bisherige Systematik der Freibeträge. Daraus ergeben sich mehrere Probleme.

Geforderte Lösungen:
(1) Das geplante Gesetz einer Kindergrundsicherung wird dahingehend ergänzt, dass Leistungen der Grundsicherung grundsätzlich unpfändbar sind.

(2) § 902 Nummer 4 ZPO wird ergänzt: für den Fall, dass die Zahlungseingänge auf dem P-Konto inkl. Kindergrundsicherung den Grundfreibetrag plus Leistungen des § 902 Nummer 5 ZPO (Leistungen für Kinder) plus die Pauschalen des § 902 Nummer 1 ZPO, überschreiten. In diesem Fall kann die Differenz ebenfalls bescheinigt werden. Unberührt bleiben Leistungen im Sinne von § 902 Nummer 2,3 und 6 ZPO.

(3) Für nachgezahlte Kindergrundsicherung gemäß § 904 ZPO ist eine vergleichbare Lösung zu finden.

Zum Forderungspapier

SOZIALRECHT-JUSTAMENT zu “temporären Bedarfsgemeinschaften”

Thema der 10-2023-Ausgabe von SOZIALRECHT-JUSTAMENT ist die aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichts B 7 AS 13/22 R vom 27.09.2023 zu “temporären Bedarfsgemeinschaften”, in denen Kinder getrenntlebender Eltern oftmals leben.

Strittig war, ob der Hauptbedarfsgemeinschaft ein pauschalierter Mehrbedarf für Bedarfsteile des Regelbedarfs zusteht, die nicht dadurch entfallen, dass sich das Kind tageweise beim umgangsberechtigten Elternteil aufhält (z.B. Bekleidung, Kosten für Möbel).

Wie immer ist auch diese Ausgabe von SOZIALRECHT-JUSTAMENT lesenswert!