Der Wucher ist zurück – Positionen der Parteien vor der Bundestagswahl 2017

Wer arm ist, dessen Notlage wird immer häufiger von Finanzdienstleistern ausgenutzt. Das iff hat im Vorfeld der Bundestagswahl die Positionen der Parteien dazu eingeholt.

Wir haben im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 die CDU/CSU, SPD, B90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE, FDP und AfD zu ihren Positionen zu Wucher befragt. Hier finden sich die eingegangenen Antworten.

Wir haben auch selber Antworten gegeben, mit denen Sie die Standpunkte der Parteien vergleichen können. Zufrieden sind wir nämlich nicht. Wenn es beim Wucher darum geht, ob man die geschilderten Prozesse sieht, ob man sie als Problem ansieht, ob es für das Problem eine spezifische Lösung gibt, so sind wir eigentlich von allen Parteien enttäuscht. Eine Partei kennt die Prozesse nicht, eine findet, das muss so sein, eine weitere will das Problem durch die Verbraucher lösen lassen, eine andere Lösungen, die so grundlegend sind, dass sie kaum Chancen haben und schließlich meint eine Partei sogar, dass, wenn man die Betroffenen außer Landes bringt, das Problem gelöst sei. Es steht also nicht gut mit dem Wucher.

Wer arm ist, dessen Notlage wird immer häufiger von Finanzdienstleistern ausgenutzt: Kreditzinsen inklusive Provisionen für Zusatzgeschäfte stehen in keinem Verhältnis zu der dafür erbrachten Leistung, die Notlage von Migranten wird bei Überweisungen an die Familien ausgenutzt.

Wucherkampagne

Das gemeinnützige institut für finanzdienstleistungen e.V. (iff) setzt sich bereits seit drei Jahrzehnten wissenschaftlich mit Fragen zum Zugang zu Finanzdienstleistungen unter anderem im Auftrag verschiedener Bundesministerien, der Europäischen Kommission und des Parlaments und der Verbraucherverbände auseinander. Vor kurzem hat das iff ein Manifest gegen den Wucher veröffentlicht und wird sich im Rahmen einer Kampagne mit Verbraucherschutzorganisationen gegen den gesetzlich verbotenen Wucher einsetzen.

Hintergrund

Wucher tritt in der Finanzdienstleistungsbranche mittlerweile recht häufig auf. Er trifft insbesondere einkommensschwache Haushalte, die an der Schwelle zur Überschuldung stehen (Schwellenhaushalte) und Migranten. Diese Gruppe kann sich in der Regel nicht adäquat zur Wehr setzen. Im Kreditbereich ist der gesetzlich verbotene Wucher systemisch aufgebaut. Der einzelne Kredit sieht oft gut aus, der Wucher steckt in seiner Abfolge und Zusatzprodukten wie Restschuldversicherungen. Grundlage ist die Aneinanderreihung einzelner Kreditverträge. Kann ein Verbraucher einen Kredit nicht mehr bedienen oder braucht er dringend Zusatzkredit, so muss er sich an seinen bisherigen Kreditgeber wenden. Schuldet er zwei Kreditraten, darf die Bank den Kreditvertrag kündigen. Dadurch wird die gesamte geschuldete Restsumme auf einen Schlag fällig. Im Angesicht einer aussichtslosen Überschuldung macht die Bank dem Verbraucher also ein Umschuldungsangebot, das dieser praktisch nicht ablehnen kann – zu wucherischen Konditionen. Die Bank kann bei jeder Umschuldung einen neuen Zinssatz, neue Produkte, Raten etc. anbieten. Der Verbraucher wird alles akzeptieren, weil es keine Alternative gibt. Besonders perfide ist die Restschuldversicherung. Die Bank zwingt dem Verbraucher Versicherungen, häufig Lebensversicherungen, auf, die die Rückführung seines Kredites sicherstellen sollen. Diese Versicherungen sind im Vergleich übermäßig teuer und sind auf die Bedürfnisse der Bank zugeschnitten. Umso öfter umgeschuldet wird, umso höher ist die Rendite aus der Restschuldversicherung. Zum systemischen Wucher gehört auch, den zahlungsunfähigen oder -unwilligen Verbrauchern die Kosten für das Inkasso aufzubürden.

Antworten des iff

1. Halten Sie die Mehrbelastung von geringeren Einkommensgruppen bei Bankgeschäften mit dem Hinweis auf deren angeblich geringere Kreditwürdigkeit für gerechtfertigt? („The Poor Pay More“)

Antwort:

Ungleichbehandlungen sind Diskriminierungen, die einer Begründung bedürfen. Ein statistischer Zusammenhang reicht hier ebenso wenig wie für die Frage, ob die Anzahl der überfliegenden Störche die Geburtenrate erhöhen. Genau damit argumentiert die Kreditwirtschaft. Es gibt keine Belege, dass Arme die schlechteren Zahler sind als Reiche. Über 90% der armen Kunden zahlen ihre Kredite voll zurück, obwohl ihnen bis zu acht Mal mehr Zinsen zur Kompensation ihrer Armut auferlegt werden. Es ist der Wucher, der die Armut befördert und nicht die Armut, die den Wucher legitimiert. Wir brauchen kein neues Gesetz, sondern nur eine Anwendung der bestehenden Vorschriften.
In der Marktwirtschaft haben Anbieter das Recht zur diskriminierenden Preisgestaltung aber nur mit zwei Einschränkungen: sie müssen die Belastung transparent machen und offenlegen (Effektivzinssatz und Tilgungsplan). Sie dürfen nach dem Wucherverbot die Not nur bis zur Grenze des Doppelten des Üblichen ausbeuten. Beides ignoriert die Praxis.

Anbieter haben auch das Recht zur diskriminierenden Preisgestaltung mit zwei Einschränkungen: sie müssen die Belastung transparent machen und offen legen (Effektivzinssatz und Tilgungsplan). Sie dürfen nach dem Wucherverbot die Not nur bis zur Grenze des Doppelten des Üblichen ausbeuten.

2. Unterstützen sie eine Gesetzesinitiative, die bei der Wucherprüfung von Krediten alle Belastungen der Kreditnehmer aus zugleich abgeschlossenen anderen Verträgen wie insbesondere Versicherungsverträgen einbezieht?

Antwort:

So würde die Ersetzung der von der Finanzlobby eingefügten Ausnahme für Versicherungen in §6 Abs.4 Ziffr. 2 PAngV durch folgenden Passus ausreichen:

Jetzige Fassung: „die keine Voraussetzung für Verbraucherdarlehensvergabe …“

Neue Fassung nach EU-Vorschlag 2002: „deren Abschluss nicht im zeitlichen Zusammenhang mit der Kreditvergabe stehen“

 3. Werden sie die Praxis der Kettenumschuldungen eindämmen, durch die Zwangslage überschuldeter Personen zur Umschuldung in immer schlechtere Kreditkonditionen missbraucht wird?

Antwort:

Wer aus Kreditnot umschuldet hat keine Marktfreiheit. Er ist an den bisherigen Kreditgeber gebunden. Die Rechtsprechung verbietet es, aus der Not eines Kreditnehmers Vorteile zu erstreben. Dies  gilt vor allem für Umschuldungssysteme, bei denen sich statistisch nachweisen lässt, dass die Zwangslage bewusst herbeigeführt wird und die Konditionen ständig verschlechtert werden. Der strafrechtliche Wucherparagraph muss hier ausgedehnt werden auf systemischen Wucher.

Jetzige Fassung: §291 StGB „1) Wer die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten“

Neue Fassung: „Wer die Notlage, die sich durch Überschuldung, Zwang … ergibt ausbeutet oder durch die Gestaltung von Absatz oder Produkten Systeme entwickelt, in diesen solche Zwangslagen entstehen, dass er sich …“

4. Was werden sie tun, um die Belastung von Migranten bei Überweisung an ihre Familien zu Hause mit bis zu 20% des Betrages durch Gebühren zu verhindern?

Antwort:

Innerhalb des Euroraums dürfen Überweisungen nicht teurer sein als innerhalb Deutschlands. Warum aber sollen Banken dann bei 150 € Überweisung in die Türkei mehr als 20% der Summe als Gebühr einbehalten dürfen? Es geht nicht, dass Arbeitnehmer aus der Türkei so ausgebeutet werden, dass es sich für sie fast schon lohnt, sich an die wucherischen privaten Geldtransferfirmen zu wenden.

Die BaFin muss die Überweisungsentgelte erfassen und überwachen. Wucher muss verhindert werden.

5. Was werden sie tun, damit der Anteil der Schulden Überschuldeter der nicht in Darlehen besteht, die der Kunde nutzen konnte, sondern aus den darauf aufgeschlagenen Kosten, Gebühren, Zwangsvollstreckungskosten, Umschuldungverlusten und Verzugszinsen nicht weiter steigt?

Antwort:

Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt das Zinseszinsverbot, eine Deckelung von Verzugszinsen und das Prinzip, dass außergerichtliche Beitreibungskosten nur dann ersetzt verlangt werden können, wenn sie objektiv notwendig sind. Die Bundesregierung hat diese Prinzipien aufgeweicht. Durch Umschuldungen kann man Zinsen in Kapital verwandeln und darauf Zinsen nehmen. Verzichtet man bei Überschuldeten auf Kreditkündigung, so kann man die Verzugszinsdeckelung umgehen. Schaltet man einen Anwalt ein, so gilt dies immer als notwendig, auch wenn die Anwaltsbüros nichts anderes als ausgelagerte Abteilungen sind.

Auch hier wird geltendes Recht nicht angewandt.

Die BaFin ist neuerdings für die kollektiven Belange der Verbraucher zuständig. Sie macht hier nichts, legt keine Rechenschaft ab und versteckt sich hinter den Zivilgerichten. Sie sollte verpflichtet werden, alle diese Missstände zu beobachten und darüber jährlich an die Öffentlichkeit berichten.

Für die Armen fehlt es nicht an Recht, sondern an Rechtsdurchsetzung.

Fakenews: „Bargeld diskriminiert die Armen“ (Süddeutsche Zeitung v. 21.8.2017;6/15)

Unter diesem Titel lässt Andrea Rexer in ihrem Interview „eine der mächtigsten Finanzfrauen … im Vorstand von Mastercard“ ohne kritische Zwischenfragen die Heilsbotschaft der Kreditkartenindustrie verkünden: bargeldlosen Zahlungen gehört die Zukunft mit Kreditkarte und Handy. Arbeitgeber verlangten sie und die Handyindustrie befördere sie zum Wohle der Armen weltweit (und naürlich der Frauen in Afrika in Afrika).

Reden wir vom selben? 1992 schrieb der Vater der Überschuldungsforschung, David Caplovitz über die „Kreditkartenmanie in Amerika“ (Reifner/Ford, Banking for People, S. 119 ff). Er behielt Recht. 16 Jahre später sollte sie zum Auslöser der Finanzkrise werden. Welche Wucherformen mit dieser ungeschützten Zahlungsform, die nicht mehr zwischen Kredit und Sparen unterscheidet, verbunden ist, haben wir ausführlich beschrieben. (Reifner, Die Finanzkrise 2017 S. 94-105)

Kreditkarten und Wucher

Bei Kreditkartenkrediten zahlt man die höchsten Zinsen, werden sie hemmungslos in zinstragendes Kapital verwandelt, entfällt der gesetzliche Verbraucherschutz bei Kreditabhebung, wird mit Kartengewirr und Nummernmissbrauch auf dem Internet betrogen, in Fallen gelockt und das auf die Spitze getrieben, was Caplovitz „improvident credit extension“ (unverantwortliche Kreditvergabe) nannte. Da hilft auch der Verweis auf die angeblich erfolgreichen Handy-Bezahlsysteme in Afrika nicht. Frau Cairns hat vergessen, dass die Bauern dafür teuer bezahlen müssen. In Indien und Bangladesh hat die unheilige Allianz der Großbanken mit der Handyindustrie und der philantropischen Microlending-Bewegung die letzten Spargroschen abgeschöpft. (dazu Reifner, Das Geld 2, 2017 S. 179 ff)

Die Freiheit des Bargeldes

Kreditkarten sind ein Produkt der Finanzindustrie. Sie diktiert die Konditionen und beutet nach der marktwirtschaftlichen Regel die Schwächsten aus. Sind sie überschuldet, zahlungsunfähig auf die Karte angewiesen, so akzeptieren sie alles, bis ihnen dann doch die Karte entzogen und über die SCHUFA verweigert wird. 4 Jahre Verbannung aus dem Zahlungsverkehr folgen.

Bargeld ist freier. Es ist diskriminierungsfrei und wird staatlich überwacht. Ob arm oder reich, der 10 € Schein kann niemandem aus prinzipiellen Gründen verweigert werden. Niemand darf ihn als Zahlungsmittel zurückweisen. Das war eines der großen Versprechen des Kapitalismus: im Geld sind alle gleich. Daran muss man inzwischen die Finanzapitalisten erinnern.

Die Kreditkartenindustrie sieht das nämlich anders. Sie hat die Kreditunwürdigen und die Gewinnträchtigen erfunden. Teilhabe ist Kalkül. Wo Gewinne winken ist Diskriminierung Menschenrecht. Die Armen zahlen mehr hieß der Titel von David Caplovitz Buch über Ratenkredite 1963 in New York, dessen Ergebnisse er 1991 auf den Kreditkartenmarkt übertrug.

Bargeld hat Grenzen

Bargeld ist allerdings teuer. Freiheit ist aber auch kostbar, soll es nicht allein die Freiheit von MasterCard werden. Doch es diese Freiheit verwandelt sich, wo es um viel Geld geht. Schon heute muss wer mehr als 10.000 € in bar zahlt, sich gegen den Verdacht der Geldwäsche legitimieren. Geldfreiheit und Geldgeheimnis bieten nicht nur Schutz vor Diskriminierung, sondern auch Schutz vor Steuer- und Strafgesetzen.

Ein bargeldloses Zahlungsverkehrssystem, das nicht diskriminiert und wuchert  und doch die Kriminalität bekämpft ist daher denkbar und nötig, allerdings wohl eher ohne MasterCard, Visa, Diners und American Express, die uns genug Kostproben gegeben haben. Ein solches System dürfte nicht gesetzlich privilegiert sein, sondern müsste eng geregelt und überwacht werden. Schon heute erklärt sich nicht, warum die EZB für dieses (Giral)Geld nicht zuständig ist.

Zu solchen Konzepten statt zum unter Frauenfreundlichkeit verstecktem Industriemarketing wäre ein Interview anregend. Da käme dann aber kaum noch eine ehemalige Ölmanagerin infrage, die die soziale Realität ihrer Produkte nicht kennt. Dafür gäbe es bei der SZ hätte sogar einen Redakteur, den wir bei Finanzdienstleistungen seit längerem schmerzlich vermissen. Er heißt Thomas Öchsner und wurde einmal mit dem Verbraucherpreis dekoriert. (Udo Reifner)