Krankheit ist erstmals der häufigste Grund für Überschuldung – Universität Witten/Herdecke fordert stärkere Prävention

PM der Universität Witten/Herdecke vom 8.7.2025: „Zum ersten Mal seit Beginn der amtlichen Erhebungen zu den Hauptursachen von Überschuldung ist „Krankheit, Sucht oder Unfall“ der häufigste Auslöser für private Überschuldung in Deutschland. Das zeigen aktuelle Daten des Statistischen Bundesamts (DESTATIS) für das Jahr 2024: Mit 18,1 % liegt der Anteil noch vor Arbeitslosigkeit (17,4 %). Prof. Dr. Eva Münster, Inhaberin der Professur für Allgemeinmedizinische Versorgungsforschung in vulnerablen Bevölkerungsgruppen am Institut für Allgemeinmedizin und Ambulante Gesundheitsversorgung (iamag) der Universität Witten/Herdecke (UW/H), sieht darin ein alarmierendes Signal – und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. (…)

„Wir wissen, dass Krankheit zur Überschuldung führen kann – aber wir wissen viel zu wenig darüber, wie genau das passiert“, betont Münster. Zwar werde die Kategorie „Krankheit, Sucht oder Unfall“ in der Überschuldungsstatistik erfasst, doch differenzierte wissenschaftliche Erkenntnisse zu den genauen Mechanismen, etwa zur Rolle bestimmter Diagnosen oder psychischer Erkrankungen, fehlten weitgehend. Auch die Auswirkungen von Scham, sozialen Brüchen oder digitalen Konsummustern würden kaum erforscht. (…)

Prof. Dr. Eva Münster fordert vor allem einen Strategiewechsel:

474.700 untergebrachte wohnungslose Personen Ende Januar 2025 in Deutschland

Auszüge aus der Pressemitteilung Nr. 246 vom 8. Juli 2025 des Statistischen Bundesamtes:

Zum Stichtag 31. Januar 2025 waren in Deutschland nach den Meldungen von Kommunen und Einrichtungen rund 474 700 Personen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, hat sich damit die Zahl gegenüber dem Vorjahr um 8 % erhöht (2024: 439 500). Der Anstieg ist vermutlich auf Verbesserungen der Datenmeldungen im vierten Jahr seit der Einführung der Statistik zurückzuführen.

Die Statistik erfasst wohnungslose Personen, die in der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 2025 beispielsweise in überlassenem Wohnraum, Sammelunterkünften oder Einrichtungen für Wohnungslose untergebracht waren. Obdachlose Personen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben sowie Formen von verdeckter Wohnungslosigkeit (zum Beispiel bei Bekannten oder Angehörigen untergekommene Personen) werden nicht in der Statistik berücksichtigt, sind aber Teil der begleitenden Wohnungslosenberichterstattung, die alle zwei Jahre vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen durchgeführt wird.

41 % der gemeldeten Personen waren jünger als 25 Jahre (2024: 40 %). Der Anteil der Personen im Alter ab 65 Jahren blieb mit rund 5 % unverändert gegenüber dem Vorjahr. Im Durchschnitt waren die am Stichtag 31. Januar 2025 untergebrachten Personen 31 Jahre alt. 56 % der untergebrachten wohnungslosen Personen waren Männer und rund 42 % Frauen (2024: 55 % Männer und 43 % Frauen). Für 2 % der Fälle wurde das Geschlecht mit „unbekannt“ angegeben.

Aktuelle Bürgergeld-Studie: Mehr als die Hälfte der Eltern verzichtet für ihre Kinder auf Essen

Aus einer PM des Vereins Sanktionsfrei e.V.: Knapp zwei Jahre nach der umstrittenen Bürgergeldreform plant die Koalition eine “Neue Grundsicherung” mit beachtlichen Verschärfungen. Dabei hat es bisher noch keine umfassende wissenschaftliche Evaluierung des Bürgergeldes gegeben und Bürgergeldbeziehende selbst sind in der Debatte kaum gehört worden. Der Verein Sanktionsfrei hat deshalb über das Umfrageinstitut Verian eine Umfrage unter 1.014 Bürgergeldbeziehenden durchgeführt. Die Ergebnisse lassen Betroffene selbst zu Wort kommen und zeichnen ein drastisches Bild von täglichem Verzicht, psychischer Belastung und geringen Erwerbsaussichten. “Über die Hälfte der Eltern müssen regelmäßig auf Essen verzichten, damit ihre Kinder satt werden. Da läuft etwas grundlegend falsch. Statt das zu ändern, plant die Politik neue Verschärfungen beim Bürgergeld und diskutiert immer noch darüber, ob der Regelsatz zu hoch ist.” so Helena Steinhaus, Vorstand von Sanktionsfrei. (…)

  1. Der Regelsatz reicht nicht für das Nötigste (…)
  2. Kaum Hoffnung auf eine Stelle, die den Bürgergeldbezug beenden kann (…)
  3. Stigma und Scham sind sehr präsent, ebenso Angst vor politischen Verschärfungen (…)

Sanktionsfrei fordert deshalb, die Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und die geplanten Verschärfungen zu stoppen. Außerdem einen bedarfsdeckenden Regelsatz von 813 €, die Abschaffung von Leistungsminderungen (Sanktionen) und Qualifizierung und Weiterbildung statt Vermittlungsvorrang. Statt den Fokus stets auf angeblich mangelnde Arbeitsbereitschaft zu richten, muss die Frage gestellt werden, inwiefern es für Personen im Bürgergeld überhaupt ausreichend bedarfsdeckende Stellen gibt. (…)

Link zur Studie: www.sanktionsfrei.de/studie25

kda-Trickfilm zur Bürgergeld-Debatte „Die Grundsicherung ist viel zu hoch! Oder?“

Die frisch gewählte Bundesregierung möchte das Bürgergeld abschaffen – ein Vorhaben, das hilfsbedürftige Menschen in Deutschland hart treffen könnte. Der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (kda Bayern) mahnt vor diesem Hintergrund eine Versachlichung der Debatte an und veröffentlicht ein Erklärvideo: „Die Grundsicherung ist viel zu hoch! Oder?“

Mehr Infos und Link zum Video unter: https://kda-bayern.de/trickfilm-grundsicherung/

Paritätischer Armutsbericht: Arme werden ärmer

„Einkommensarme Menschen sind in den vergangenen Jahren ärmer geworden, so das Ergebnis des neuen Paritätischen Armutsberichtes. Während das mittlere Einkommen von Personen unterhalb der Armutsgrenze im Jahr 2020 noch bei 981 Euro im Monat lag, waren es im Jahr 2024 preisbereinigt nur noch 921 Euro.

„Die Zahlen belegen, was viele Menschen mit geringem Einkommen schon lange im Alltag spüren: Die Armen werden ärmer“, so Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Die Kaufkraftverluste der vergangenen Jahre verschärfen die ohnehin schon schwierige finanzielle Lage von Millionen Betroffenen. Die neue Bundesregierung muss die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung jetzt ganz oben auf die Agenda setzen!“ Der Paritätische sieht neben besseren Erwerbseinkommen insbesondere Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Wohn- und Familienarmut, der Stärkung der Rentenversicherung und dem Ausbau der Grundsicherung.

Insgesamt müssen 2024 dem neuen Armutsbericht zufolge 15,5 Prozent der Bevölkerung zu den Armen gezählt werden. Die Armutsquote stieg um 1,1 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr an. Von Armut betroffen sind dabei insbesondere Alleinerziehende, junge Erwachsene und Rentner*innen, wobei die Altersarmut stark weiblich geprägt ist.

Der Armutsbericht weist auch die Zahl derer aus, die in erheblicher materieller Entbehrung leben: 5,2 Millionen Menschen – darunter 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche sowie 1,2 Millionen Vollzeiterwerbstätige – können sich etwa nicht leisten, die Wohnung warm zu halten oder alte Kleidung zu ersetzen.

81.309 Verbraucherinsolvenzverfahren in 2024

Das Statistische Bundesamt meldet in der PM Nr. 096 vom 14.3.2025: „Im Jahr 2024 gab es 71 207 Verbraucherinsolvenzen. Damit stieg die Zahl der Verbraucherinsolvenzen um 6,5 % gegenüber dem Jahr 2023.“

Ruft man dann allerdings die Tabelle 52411-0081 auf, sieht man, dass dort einzig die „Verbraucher“ gezählt sind, nicht aber die „Ehemals selbstständig Tätigen mit vereinfachtem Verfahren“. Davon gab es in 2024 immerhin auch 10.102.

Versteht man allerdings richtigerweise unter Verbraucherinsolvenzverfahren die Verfahren nach § 304 InsO, sind auch diese ehemals Selbstständigen mitzuzählen (vgl. Absatz 1 Satz 2). Dann ergibt sich eine Gesamtsumme von 81.309 Verfahren. Dies ist ein Plus von 6,57% (in 2023 gab es 66.887 Verbraucher und 9.407 ehemals selbstständig Tätigen mit vereinfachtem Verfahren, also insgesamt 76.294).

Zu den Hamburger Zahlen zu 2024 siehe: Statistikamt Nord: Verbraucherinsolvenzen in Hamburg 2024

Statistikamt Nord: Verbraucherinsolvenzen in Hamburg 2024

Für das Jahr 2024 hat das Insolvenzgericht Hamburg 2.300 entschiedene Anträge von Privatpersonen auf eine Verbraucherinsolvenz gemeldet. Das waren 175 Verfahren bzw. acht Prozent mehr als im Vorjahr, so das Statistikamt Nord. Eine noch höhere Fallzahl wurde zuletzt für das Jahr 2014 gemeldet.

Am häufigsten wurden Insolvenzen für Verbraucherinnen und Verbraucher in den Bezirken Hamburg-Mitte und Wandsbek mit 514 bzw. 490 Verfahren gemeldet. Im Verhältnis zur Bevölkerung war jedoch der Bezirk Harburg am häufigsten betroffen: Dort gab es 184 Verbraucherinsolvenzen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Zum Vergleich: Die hamburgweite Quote betrug 117. Die Anzahl der Verbraucherinsolvenzen stieg dabei in allen Bezirken außer in Altona.

Die voraussichtlichen Forderungen der Gläubigerinnen und Gläubiger gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern betrugen 87 Mio. Euro. Durchschnittlich war eine insolvente Person mit 37.600 Euro verschuldet; dieser Wert war im Bezirk Altona mit 44 600 Euro am höchsten.

Es werden nur Insolvenzen von Verbraucherinnen und Verbrauchern betrachtet. Ehemals selbstständig Tätige mit vereinfachtem Verfahren werden in dieser Darstellung nicht berücksichtigt.

Böckler Stiftung: Sozialer Ausgleich durch Sozialstaat und Steuersystem wird schwächer

PM der Böckler Stiftung: „Deutschland hat bei der Bekämpfung von Einkommensungleichheit und Armut nachgelassen. Zwar wirken sowohl das Steuersystem als auch der Sozialstaat in Richtung sozialer Ausgleich, doch im Zeitverlauf weniger stark als in früheren Jahren. Dabei ist der Wunsch nach staatlicher Umverteilung in der Bevölkerung weit verbreitet: Rund 60 Prozent der Erwerbspersonen finden, dass der Staat zu wenig gegen soziale Ungleichheit tut, nur rund 15 Prozent sehen das dezidiert anders. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Die 2010er Jahre hätten eigentlich gute Voraussetzungen geboten, weniger Ungleichheit zu erreichen und Armut zu verringern – doch trotz des jahrelangen Wirtschaftswachstums und relativ geringer Arbeitslosigkeit haben Einkommenskonzentration und Armut in dieser Zeit zugenommen, konstatieren die Studienautor*innen Dr. Dorothee Spannagel und Dr. Jan Brülle (Daten unten). Daher müsse dieser Zeitraum, in dem zunächst Union und FDP die Regierung stellten, dann die Union und die SPD als kleinere Koalitionspartnerin, insgesamt als „verlorenes Jahrzehnt“ im Kampf gegen Armut und Ungleichheit betrachtet werden.   (…)

Die Forschenden stellen zunächst fest, dass der Sozialstaat und das progressive Steuersystem in Deutschland grundsätzlich funktionieren. Ohne Sozialtransfers gäbe es in Deutschland viel mehr Armut. Aber: Früher hat der soziale Ausgleich besser geklappt. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 lagen rund 35 Prozent der Bevölkerung mit ihrem sogenannten Markteinkommen unter der Armutsgrenze, die bei 60 Prozent des mittleren Einkommens im Land liegt. Mit ihrem verfügbaren Einkommen, also nach Steuern und Transfers, waren es 2010 noch gut 14 Prozent. Durch Umverteilung konnte die Armutsquote damit in jenem Jahr um 59 Prozent gesenkt werden. 2021 lag der Anteil derjenigen, die mit ihrem Markteinkommen unter der Armutsgrenze lagen, mit rund 34 Prozent ähnlich hoch wie 2010. Nach Steuern und Transfers war der Anteil der Armen mit knapp 18 Prozent jedoch deutlich höher als elf Jahre zuvor. Die Armutsquote wurde 2021 durch Umverteilung nur noch um 48 Prozent gesenkt, also ein spürbar geringerer Effekt, analysieren Spannagel und Brülle.  

Eine ähnliche Entwicklung zeigt der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit der Einkommen misst: Während die Spreizung der Markteinkommen 2021 ähnlich hoch war, ist die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen höher als 2010. Auch hier zeigt sich, dass die staatliche Umverteilung nachgelassen hat.

Im Jahr 2024 weiterhin ein Fünftel der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht

Heutige PM des Statistischen Bundesamtes: „In Deutschland waren im Jahr 2024 rund 17,6 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Das waren 20,9 % der Bevölkerung, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anhand von Erstergebnissen der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) mitteilt. Damit lagen die Werte geringfügig niedriger als im Vorjahr. So waren im Jahr 2023 rund 17,9 Millionen Menschen oder 21,3 % der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Der Anteil hatte sich auch in den vorangegangenen Jahren kaum verändert: Im Jahr 2021 hatte der Anteil bei 21,0 % der Bevölkerung gelegen und 2022 bei 21,1 %.

Eine Person gilt in der Europäischen Union (EU) als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Bedingungen zutrifft: Ihr Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze, ihr Haushalt ist von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen oder sie lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung. Für jede dieser Lebenssituationen kann jeweils der Anteil der Betroffenen an der Bevölkerung ermittelt werden.

13,1 Millionen Menschen mit Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze

Im Jahr 2024 waren 15,5 % der Bevölkerung oder rund 13,1 Millionen Menschen in Deutschland armutsgefährdet. Im Jahr 2023 hatte die Armutsgefährdungsquote bei 14,4 % (12,1 Millionen Personen) gelegen. Nach EU-SILC gilt eine Person als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 % des mittleren Äquivalenzeinkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. 2024 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland netto (nach Steuern und Sozialabgaben) bei 1 378 Euro im Monat (2023: 1 314 Euro); für Haushalte mit zwei Erwachsenen mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag er bei 2 893 Euro im Monat (2023: 2 759 Euro; jeweils Äquivalenzeinkommen). Um das Einkommen vollständig zu erfassen, wird das Jahreseinkommen erfragt. Dadurch beziehen sich die Fragen zum Einkommen auf das Vorjahr der Erhebung, in diesem Fall also auf das Jahr 2023.

Zahl der Sozialwohnungen stark gesunken

Die Zahl der Sozialmietwohnungen ist in den vergangenen zehn Jahren stark zurückgegangen. Gab es im Jahr 2014 noch rund 1,46 Millionen Sozialmietwohnungen, so betrug deren Zahl Ende 2023 noch 1,07 Millionen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung (20/14409) auf eine Kleine Anfrage der Gruppe die Linke (20/13975) hervor.

Die Bundesregierung weist in der Antwort darauf hin, dass der Bestand an Sozialmietwohnungen 2023 im Vergleich zum Jahr 2022 um gut 14.000 Wohneinheiten abgenommen habe: „Das ist der geringste Rückgang seit der Bundesregierung die Daten vorliegen (2006).“ Im Jahr 2023 sei es darüber hinaus in sieben Ländern zu einem Anstieg beim Bestand an Sozialmietwohnungen gekommen. Die Ausgaben für Wohngeld sind in jüngster Zeit stark gestiegen. Wurden 2022 noch 1,6 Milliarden Euro ausgegeben, so stiegen die Aufgaben im Jahr 2023 auf 3,9 Milliarden Euro an.

Quelle: Bundestagsmeldung