Positionspapier der Nationalen Armutskonferenz: Menschenwürdiges Auskommen statt Naturalien!

Nationale Armutskonferenz (nak): Der Staat darf die Verantwortung für die Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht länger auf Tafeln u.a. verschieben!

Lebensmittel, Kleidung, Energie, Wohnen, Mobilität, Gesundheit sind grundlegend für das Leben eines Menschen. Ein Verweis auf Initiativen und hier auf Tafeln und Lebensmittelausgaben zur Deckung des täglichen Bedarfs steht nicht im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht.

Die Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) ist ureigene Aufgabe des Staates.

Der Staat hat laut Bundesverfassungsgericht sicherzustellen, dass jedem Hilfebedürftigem diejenigen materiellen Voraussetzung zur Verfügung stehen, die für seine / ihre physische Existenz und ein Min- destmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Es ist unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat (BVerfG 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 ua, Rn.136).

Zweiter Heizkostenzuschuss einstimmig gebilligt

Soeben hat der der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Heizkostenzuschussgesetzes und des Elften Buches Sozialgesetzbuch (20/3884) gebilligt – und zwar einstimmig. Zuvor hatte der Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen noch Änderungen am Entwurf vorgenommen (20/4097). 

Wegen der im Jahr 2022 zu erwartenden Mehrbelastungen bei den Heizkosten will die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf einen zweiten Heizkostenzuschuss an bedürftige Haushalte auszahlen, die beim ersten Heizkostenzuschuss noch nicht berücksichtigt werden konnten. Vom zweiten Heizkostenzuschuss sollen der Regierung zufolge alle Haushalte profitieren, die in mindestens einem Monat im Zeitraum vom 1. September 2022 bis zum 31. Dezember 2022 wohngeldberechtigt sind.

Sie sollen den Zuschuss gestaffelt nach Haushaltsgröße erhalten. Darüber hinaus sollen wie beim ersten Heizkostenzuschuss auch die Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem BAföG sowie von Ausbildungs- und Berufsausbildungsbeihilfen profitieren, wenn die Leistungsberechtigung für mindestens einen Monat im maßgeblichen Zeitraum von 1. September 2022 bis 31. Dezember 2022 bestand. Für sie sieht die Bundesregierung einen pauschalen Zuschuss vor.

Der Bundesregierung zufolge werden von der Maßnahme rund 660.000 wohngeldbeziehende Haushalte, rund 372.000 Geförderte nach dem BAföG, rund 81.000 Geförderte mit Unterhaltsbeitrag nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz sowie rund 100.000 Personen, die Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld beziehen, profitieren. Das Gesetz sieht außerdem eine Konkretisierung des Paragrafen 85 Absatz 7 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) vor. Sie soll es den Leistungserbringern in der Pflege ermöglichen, zügig Verhandlungen mit den Pflegekassen aufzunehmen, wenn sich die Energiekosten in unvorhergesehenem Ausmaß ändern.

Insgesamt rechnet der Bund bei Einführung des zweiten Heizkostenzuschusses mit Mehrausgaben in Höhe von rund 551 Millionen Euro in den Jahren 2022 und 2023. Es wird angestrebt, dass die Zuschüsse noch in diesem Jahr ausgezahlt werden.

Laut einem Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, dem im Ausschuss für Wohnen zugestimmt wurde, wird im Gesetz nun klargestellt, was unter einer unvorhersehbaren Änderung der Energiekosten verstanden werden soll: zum einen eine „erhebliche Abweichung der tatsächlichen Bewohnerstruktur“, zum anderen eine „erhebliche Änderung der Energieaufwendungen“. – Quelle

Siehe auch https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/faq/2022_heizkostenzuschuss.html

Anmerkung: in der BT-Debatte wurde mal wieder von “sozial schwachen” Personen gesprochen und dabei offenbar einkommensarme Personen gemeint. Das ist sehr ärgerlich. Mehr dazu hier und hier. Dort auch die Quelle zu Heribert Prantl:

Sozial schwach sind diejenigen, die den Armen aus der Armut helfen könnten, es aber nicht tun.

Zu wenig Verdienst für auskömmliche Rente

Bundestagsmeldung: Nach Angaben der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit haben sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte im Jahr 2021 ein mittleres Bruttomonatsentgelt (Median) von 3.516 Euro erzielt. Vollzeitbeschäftigte mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit erzielten ein Medianentgelt in Höhe von 2.728 Euro, während das Entgelt deutscher Staatsangehöriger im Mittel 3.643 Euro betrug. Diese Zahlen nennt die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/3834) auf eine Kleine Anfrage.

Aus der Antwort geht auch hervor, dass 18,1 Prozent der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten ein Entgelt im unteren Entgeltbereich erzielten und dass knapp drei Millionen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte (13,5 Prozent) einen Bruttolohn unterhalb des Schwellenwertes (25.878 Euro pro Jahr) verdienten, der für eine Nettorente nach 45 Arbeitsjahren in Höhe der Grundsicherung im Alter notwendig wäre.

Tafeln in Deutschland: Rund 1,1 Millionen NutzerInnen im Jahr 2020, vor allem Alleinerziehende

Beginn einer PM des DIW: “Alleinerziehende und Schwerbehinderte nutzen Tafeln besonders häufig – jeweils rund ein Drittel der TafelbesucherInnen gibt an, zu diesen Gruppen zu gehören. Das zeigt eine Studie von DIW-Wissenschaftlern, für die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ausgewertet wurden.

Der Datensatz erlaubt erstmals eine belastbare Schätzung der Zahl von TafelbesucherInnen und deren demografischer Eigenschaften, zuvor lagen keine verallgemeinerbaren Daten vor. Demnach nutzten im ersten Halbjahr 2020 knapp 1,1 Millionen Menschen in Deutschland die Tafeln, das sind etwa 1,3 Prozent der Bevölkerung.

„Offenbar gibt es eine relevante Gruppe von Menschen, die mithilfe der Tafeln ihre Nahrungsmittelversorgung sicherstellen müssen“, sagt Markus M. Grabka, Studienautor und Mitglied im Direktorium des SOEP im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).” – mehr auch hier

Tacheles e.V.: “Wesentliche Änderungen im Bürgerhartz-Gesetz”

Letzte Woche hatten wir auf den RegE zum sog. Bürgergeld hingewiesen. Auf der Seite von Tacheles e.V. werden die wesentlichen Änderungen im Vergleich zum RefE vorstellt und wie folgt eingeleitet: “Die Bundesregierung hat nun ihren Gesetzesentwurf zum Bürgergeldgesetz verabschiedet. Da dies aber weiterhin Armut per Gesetz bedeutet, ist es nur richtig und konsequent das sog. Bürgergeld treffend Bürgerhartz zu nennen.”

Aufruf „Für Solidarität und Zusammenhalt jetzt!“

In einem offenen Aufruf „Für Solidarität und Zusammenhalt jetzt!“ fordern prominente Vertreter und Vertreterinnen von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Kirche, Wissenschaft und Kultur mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt in Krisenzeiten. Der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Corona-Pandemie und weltweit gestörte Lieferketten haben Preissteigerungen vor allem für Energie und Nahrungsmittel ausgelöst, die von Menschen mit geringen bis durchschnittlichen Einkommen kaum noch zu stemmen sind. Für viele bedeutet die hohe Inflation eine existenzielle Bedrohung. Die Unterzeichnenden fordern deshalb eine zielgenaue und wirkungsvolle Entlastung einkommensarmer Haushalte. Dabei sei insbesondere die Solidarität der Menschen gefragt, die über große Einkommen und Vermögen verfügten, betonen die Erstunterzeichnenden des Appells. „Starke Schultern können und müssen mehr tragen – das ist ein zentraler Grundsatz unserer sozialen Marktwirtschaft.“, heißt es in dem Aufruf: „Wir alle sind jetzt gefragt, unseren persönlichen Beitrag zum sozialen Frieden und zum Zusammenhalt in unserer Demokratie zu leisten.“

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Bundestag berät morgen über Konsequenzen aus dem Paritätischen Armutsbericht 2022

Der Bundestag berät am Freitag, 8. Juli 2022, auf Verlangen der Fraktion Die Linke über Armut in Deutschland. In einer Aktuellen Stunde zu dem Thema „13,8 Millionen arme Menschen im Land – Konsequenzen aus dem Paritätischen Armutsbericht 2022“ [dazu hier] findet eine einstündige Aussprache statt. – Quelle

Diakonie-Zitat: Inflation – Schluss mit Einmalzahlungen

Die Inflationsrate in Deutschland lag im Mai bei 7,9 Prozent. Dazu erklärt Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland:

Mit der Inflation steigen auch die Nöte der Menschen ohne oder mit geringen Einkommen. Die Politik muss Schluss machen mit beliebigen Einmalzahlungen, die wie Almosen daherkommen, und Einkommensarme wirkungsvoll und verlässlich unterstützen.

https://www.diakonie.de/diakonie-zitate/diakonie-zitat-inflation-schluss-mit-einmalzahlungen

Weitere Informationen: Steigende Lebensmittelpreise verschärfen die Armut in Deutschland

Nationale Armutskonferenz zu Bürgergeld: Klare Neuregelungen und Beteiligung statt sanfte Worte!

PM der nak: Auf ihrer halbjährlichen Delegiertenversammlung in Köln hat die Nationale Armutskonferenz (nak) einen konsequenten und beteiligungsorientierten Neustart mit dem Bürgergeld eingefordert. In der Nationalen Armutskonferenz vernetzen sich Wohlfahrts-, Sozial- und Fachverbände der Sozialen Arbeit, Gewerkschaften und Initiativen aus der Selbstorganisation von Menschen mit Armutserfahrung.

„Das Bürgergeld muss einen konsequenten Bruch mit dem autoritären Hartz-IV-System vollziehen“, so Jürgen Schneider, Mitglied des Koordinierungskreises der nak und selbst leistungsberechtigt in der Grundsicherung. „Im Koalitionsvertrag stehen sanfte Worte wie „Soft Skills“ und „Augenhöhe“. Es ist völlig unklar, was das bedeuten soll. Nötig sind klare Neuregelungen, die das Machtgefälle in den Jobcentern auflösen.“

Für die Leistungsbeziehenden sei Ohnmacht im Umgang mit den Behörden eine alltägliche Erfahrung. (mehr …)

Bundestag beschließt Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro je Stunde ab Oktober 2022

Mehrheitlich sprach sich der Bundestag heute für eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro je Stunde ab Oktober 2022 aus. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/140820/1916) zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung stimmten die Koalitionsfraktionen und Die Linke. Die CDU/CSU-Fraktion und die AfD-Fraktion enthielten sich. Auf Antrag der Linken wurde über Artikel 7 des Gesetzentwurfs, die von der Linken heftig kritisierten Änderungen bei den Minijobs, in namentlicher Abstimmung separat abgestimmt. Für den Artikel 7 stimmten dabei 398 Abgeordnete, dagegen 41 und 248 der insgesamt abgegebenen Stimmen waren Enthaltungen. Zur Abstimmung des Gesetzentwurfs hatte der Ausschuss für Arbeit und Soziales eine Beschlussempfehlung (20/1916) vorgelegt. Einen Entschließungsantrag der CDU/CSU (20/2057) wies der Bundestag bei Enthaltung der AfD mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen zurück. Darin kritisierte die Unionsfraktion die beabsichtigte politische Festlegung der Mindestlohnhöhe und forderte zukünftig eine Festlegung durch die Mindestlohnkommission.

Gegen die Stimmen der Antragsteller wurde zudem eine Vorlage der Linksfraktion mit dem Titel „Ausweitung der Minijobs konterkariert Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns“ (20/1503) abgelehnt. (mehr …)