BGH zur Abführungspflicht des selbständig tätigen Insolvenzschuldners

BGH, Beschluss vom 29. September 2022 – IX ZB 48/21 – Leitsatz

Hat der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners freigegeben und erzielt der Schuldner zusätzlich Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung, kann das Insolvenzgericht nicht anordnen, dass der unpfändbare Betrag in erster Linie den Einkünften des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit oder den fiktiven Einkünften aus dem angemessenen Dienstverhältnis zu entnehmen ist.

§ 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO a.F.

Schleswig-Holsteinisches LSG: für das Begehren, anstelle von Arbeitslosengeld II Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in gleicher Höhe zu erhalten, fehlt es regelmäßig am Anordnungsgrund

Das LSG Schleswig-Holstein hat am 21.6.2022, L 9 SO 71/22 B ER, entschieden – Leitsätze:

  1. In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fehlt es für das Begehren, anstelle von Arbeitslosengeld II Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in gleicher Höhe zu erhalten, regelmäßig am Anordnungsgrund.
  2. Die sanktionsbewehrte Erwerbsobliegenheit im SGB II steht dem zumindest für die Zeit eines generellen Sanktionsmoratoriums nicht entgegen.

BGH: Mindestelterngeld ist nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen

Der BGH hat am 23.02.2022 unter dem Aktenzeichen: VII ZB 41/21 entscheiden – Leitsatz:

Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen.

Aus der Entscheidung:

Rn 22: Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen.

Rn 24: Der Vollstreckungsgläubiger kann nicht verlangen, gegenüber der unterhaltsberechtigten Person besser als gegenüber dem Schuldner gestellt zu werden. Da das Mindestelterngeld, würde es der Schuldner beziehen, gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I unpfändbar wäre, kann es auch nicht zu den berücksichtigungsfähigen Einkünften des Unterhaltsberechtigten gezählt werden (vgl. Ahrens, NZI 2009, 423, 424)

Niedrigere „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Oktober 2022
1 BvL 3/21 – aus der PM des Gerichts:

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist.

Die Entscheidung betrifft alleinstehende Erwachsene, die in sogenannten Sammelunterkünften wohnen und sich seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Ihnen hat der Gesetzgeber ab dem 1. September 2019 einen um 10 % geringeren Bedarf an existenzsichernden Leistungen zugeschrieben, indem nicht mehr die Regelbedarfsstufe 1, sondern die in § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG neu geschaffene „Sonderbedarfsstufe“ der Regelbedarfsstufe 2 zugrunde gelegt wird. Dies ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar.

Es ist nicht erkennbar, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um 10 % tragen würden. Daneben kann der Gesetzgeber zwar im Sinne des Nachrangs staatlicher Leistungen grundsätzlich auch eine von den Bedürftigen nicht genutzte, ihnen aber an sich tatsächlich eröffnete und zumutbare Möglichkeit von Einsparungen berücksichtigen. Doch fehlt es an hinreichend tragfähigen Anhaltspunkten für die Annahme, dass die Voraussetzungen dafür in den Sammelunterkünften tatsächlich gegeben sind.

AG Lüneburg gibt Energiepreispauschale nach § 765a ZPO aus dem Insolvenzbeschlag frei

Hier der Hinweis auf AG Lüneburg, Beschl. v. 15.9.2022 – 46 IK 75/18, der in der ZInsO 2022, 2494 nachlesbar ist.

Demnach stellt die Energiepreispauschale (EPP) nach § 112ff EStG ein Arbeitseinkommen dar, so dass die §§ § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, §§ 850a, 850f ZPO nicht anwendbar sind.

Auch eine Anwendung der § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 851 ZPO, § 399 BGB sei ausgeschlossen, da die EPP dem Berechtigten zur freien Verfügung überlassen bleib.

Allerdings wendet das Gericht dann via § 4 InsO den § 765a ZPO an und zwar wie folgt:

Insolvenzschuldner gehören aufgrund der Tatsache, dass ihnen ohnehin nur der nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850c ZPO monatlich unpfändbare Einkommensbetrag zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verbleibt, zum einkommensschwachen Bevölkerungsanteil.

Somit würde es für den Schuldner eine ganz besondere Härte darstellen, würde die ihm zustehende Energiepreispauschale in die Insolvenzmasse fallen.

AG Aschaffenburg und AG Osnabrück: EPP (§ 112ff EStG) ist pfändbar

Hier der Hinweis auf

  • AG Aschaffenburg, 07.11.2022 – 654 IK 298/21
  • AG Osnabrück, Beschluss vom 10. Oktober 2022 – 27 IK 6/22

Nach beiden Entscheidungen ist die Energiepreispauschale (gemeint: die allgemeine nach § 112ff EStG) pfändbar.

Das AG Osnabrück ist sehr kurz. Zentrale Sätze:

Ziel der Energiepreispauschale ist es, die wirtschaftlichen Folgen der gestiegenen Energiepreise zu reduzieren. Die Auszahlung erfolgt pauschal und kompensiert Mehrausgaben, die der Schuldner ggf. schon hatte. Eine tatsächliche Überprüfung des Energiekosten-Mehraufwands erfolgt allerdings nicht, sodass die erforderliche Zweckbindung des § 851 ZPO nicht vorliegt. (Wipperfürth, ZInsO 2022, 1665). Insoweit kommt hier eine Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale nicht in Betracht (…)

Das AG Aschaffenburg befasst sich länger mit dem Thema. Daraus:

Nach der Systematik des Gesetzes sind alle Vermögensgegenstände pfändbar, außer sie sind unpfändbar. Es gibt keine gesetzliche Regelung die ausdrücklich regelt, dass die Energiepreispauschale unpfändbar ist. Deshalb ist umstritten, ob die Energiepreispauschale pfändbar und somit Insolvenzmasse ist (ablehnend: Grote, InsbürO 2022, 337; bejahend: Wipperfürth, ZInsO 2022, 1665; Ahrens, NJW-Spezial 2022, 341; AG Norderstedt, Beschluss vom 15. September 2022 – 66 IN 90/19 -, juris; AG Osnabrück, Beschluss vom 10. Oktober 2022 – 27 IK 6/22 -, juris).

AG Hamburg: Energiepreispauschale ist nicht von der Abtretung nach § 287 InsO erfasst

Mit Beschluss vom 5.10.2022, 67g IN 106/20, hat das Amtsgericht Hamburg entschieden:

[Es] wird der Antrag des Schuldners vom 28.09.2022 auf Anordnung der Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale zurückgewiesen.

Gründe: Das Insolvenzhauptverfahren ist am 07.10.2021 aufgehoben worden. Seit diesem Zeitpunkt befindet sich der Schuldner in der sog. Wohlverhaltensperiode.

Da es sich bei der Energiepreispauschale nicht um Arbeitslohn handelt, ist diese Zahlung nicht von der Abtretung nach § 287 InsO erfasst. Der Treuhänder hat keinen Anspruch auf Auszahlung dieser Prämie. Der Antrag des Schuldners geht somit ins Leere. 

Der Beschluss als Scan. Achtung: hierbei handelt es sich um die Energiepreispauschale nach §§ 112ff EStG (hierzu etwa AG Norderstedt), nicht um die Pauschale für Rentner:innen (RentEPPG).

OLG Koblenz zu Mahn-, Rücklastschrift- und Inkassokosten

In der SCHUFA-Entscheidung des OLG Koblenz (18.05.2022, 5 U 2141/21) macht das Gericht auch Ausführungen zu diversen Nebenkosten. Diese sind durchaus lesenswert:

  • Die Mahnkosten sind gleichermaßen nicht schlüssig vorgetragen. Wann welche Forderung in welcher Höhe angemahnt wurde, wird nicht dargelegt. Schon die Notwendigkeit der Mahnungen kann der Senat damit nicht feststellen. Der Höhe nach sind die Mahnkosten ersichtlich überzogen. Nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind lediglich die sachlichen Kosten ersatzfähig (BGH, Urteil vom 26.06.2019, VIII ZR 95/18). Ob solche überhaupt angefallen sind oder etwa elektronisch gemahnt wurde, kann der Senat aufgrund des Vortrages nicht feststellen. Da zum 01.07.2019 gerichtsbekannt die Portokosten erhöht wurden, können auch die Portokosten bei einer postalischen Mahnung nicht ohne weiteres geschätzt werden (§ 287 ZPO), zumal der Klägerin als Großabnehmer Rabatte gewährt werden dürften.
  • Letztlich sind auch die Rücklastschriftkosten unbegründet.

OLG Koblenz zu Mahn-, Rücklastschrift- und Inkassokosten

In der SCHUFA-Entscheidung des OLG Koblenz (18.05.2022, 5 U 2141/21) macht das Gericht auch Ausführungen zu diversen Nebenkosten. Diese sind durchaus lesenswert:

  • Die Mahnkosten sind gleichermaßen nicht schlüssig vorgetragen. Wann welche Forderung in welcher Höhe angemahnt wurde, wird nicht dargelegt. Schon die Notwendigkeit der Mahnungen kann der Senat damit nicht feststellen. Der Höhe nach sind die Mahnkosten ersichtlich überzogen. Nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind lediglich die sachlichen Kosten ersatzfähig (BGH, Urteil vom 26.06.2019, VIII ZR 95/18). Ob solche überhaupt angefallen sind oder etwa elektronisch gemahnt wurde, kann der Senat aufgrund des Vortrages nicht feststellen. Da zum 01.07.2019 gerichtsbekannt die Portokosten erhöht wurden, können auch die Portokosten bei einer postalischen Mahnung nicht ohne weiteres geschätzt werden (§ 287 ZPO), zumal der Klägerin als Großabnehmer Rabatte gewährt werden dürften.
  • Letztlich sind auch die Rücklastschriftkosten unbegründet.