AG Berlin-Neukölln zu Inkassokosten

Frank Wiedenhaupt von der Berliner Stadtmission, Schuldner- und Insolvenzberatung für Kleinstselbstständige berichtet: “Wer kennt das nicht: man sitzt an einer Forderungsaufstellung von EOS Investment GmbH, vertreten durch den EOS Deutscher Inkasso-Dienst und fragt sich welche Inkassokosten zulässig sind, ob die Forderung vielleicht schon verjährt und wie das mit Mahngebühren und überhaupt ist.

Das Amtsgericht Neukölln hat sich nun die Mühe gemacht, quasi ein Art Tutorial für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Forderung(en) zu entwickeln.

Hier findet Ihr seine Verfügung an die Gläubiger-Anwaltskanzlei, die aufgrund des Widerspruchs meines selbstständigen Klienten gegen den Vollstreckungsbescheid Klage vor dem AG Neukölln erhoben hat.

Die Rechtsanwaltsgesellschaft, die EOS Investment GmbH vertritt/vertreten hat, hat die Klage zurückgenommen. Mein Klient freut sich. Ich hätte gerne ein Urteil gehabt.”

Dokumentation des Vorgangs als PDF-Datei (Vollstreckungsbescheid / gerichtliche Verfügung als Scan, sowie Verfügung als Text)

Vielen Dank an Herrn Wiedenhaupt fürs Teilen! Gerne andere Fälle u.ä. an uns senden. Bei dieser Gelegenheit auch noch einmal der Hinweis auf die Musterfeststellungsklage der vzbv in Sachen EOS.

LG Hildesheim zur EStG-Energiepreispauschale nach neuem Recht

Hier der Hinweis auf LG Hildesheim, Beschluss vom 30.12.2022, 6 T 63/22; hier als PDF. Orientierungssätze von Matthias Butenob:

  1. Ist streitig, ob ein bestimmter Gegenstand gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 InsO der Zwangsvollstreckung unterliegt, entscheidet hierüber auf Antrag das Insolvenzgericht.
  2. Dies gilt aufgrund der Verweisung in § 36 Abs. 1 S. 2 auf § 850ff. ZPO auch für den Antrag des Schuldners, ihm einen Teil seines nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d, 850i ZPO pfändbaren Einkommens zu belassen (BGH NZI 2003, 389).
  3. Der Anspruch auf die EStG-Energiepreispauschale ist – nach „Nachbesserung” durch den Gesetzgeber – nunmehr ausdrücklich unpfändbar (§ 122 Satz 2 EStG), so dass er nicht Gegenstand der Insolvenzmasse ist und sich der Freibetrag auf dem Pfändungsschutzkonto dementsprechend in Höhe der – steuerbereinigten – Energiepreispauschale erhöht.
  4. Der gesetzliche Freibetrag von 1.340,00 € war damit für den Monat September 2022 um die an den Schuldner ausgezahlte (steuerbereinigte) Energiepreispauschale auf 1.572,42 € zu erhöhen.

Nicht problematisiert wurde, dass der Antrag des Schuldners schon vom 1.9.2022 und die aufgehobene erstinstanzliche Entscheidung vom 4.11.2022 datierte.

Offenbar ging das Landgericht – unausgesprochen – von folgendem aus (zitiert nach BGH 10.08.2022 – VII ZB 5/22; Fett hier):

LSG Rheinland-Pfalz zum Vorwurf, ein vorgezogenes Erbe “verschleudert” zu haben

Der DGB weist auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. September 2022 – L 3 AS 208/21 hin. Unter dem Titel “Was heißt hier „verschleudert“?” wird in dem Beitrag das Urteil vorgestellt.

Es geht um § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II sowie dem § 34 SGB II. Das Jobcenter warf einem Kunden vor, ein vorgezogenes Erbe bewusst verschleudert zu haben. Das Gericht sah das im Ergebnis nicht so und die Entscheidung ist nicht nur deshalb lesenswert.

Auch Heimbewohner können Anspruch auf Corona-Einmalzahlung haben

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2022, Aktenzeichen L 2 SO 1183/22.

Zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen können auch in stationären Heimen lebende Leistungsberechtigte vom Sozialhilfeträger eine Einmalzahlung von 150 € beanspruchen, wenn sie im Mai 2021 einen Barbetrag und eine Bekleidungspauschale bezogen haben.

Diese stellten Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII (als eine Voraussetzung für den Anspruch auf eine Covid-19-Einmalzahlung nach § 144 S. 1 SGB XII) dar. Obwohl die Leistungen der Stadt S an den K auf ein Konto des Pflegeheims überwiesen wurden, seien die Bekleidungsbeihilfe und der Barbetrag an K ausgezahlt worden. Denn K habe Barbetrag und Bekleidungspauschale zur persönlichen Verfügung gestanden und einen Anspruch gegen das Heim auf Überlassung dieser Beträge zu seiner freien Verfügung gehabt. Insofern sei somit von einer Auszahlung dieser Beträge an K auszugehen. Der Senat hat die Revision an das Bundesozialgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Quelle: PM des Gerichts

LG Berlin zur Aufhebung der Verfahrenskostenstundung bei Auskunftspflichtverletzung des Schuldners

Das LG Berlin hat am 11.2021 unter 84 T 99/21 eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen – Orientierungssatz:

Es reicht für eine Aufhebung der Stundung der Verfahrenskosten gemäß § 4c Nr. 1 Halbsatz 2 InsO nicht aus, wenn der Schuldner seine allgemeine Mitwirkungspflicht durch Nichterteilung einer Auskunft verletzt.

Aus der Entscheidung: “Vorliegend hat das Amtsgericht den Schuldner mit der Verfügung vom 07.12.2020 ausdrücklich lediglich dazu aufgefordert, dem Treuhänder — und nur diesem — lückenlose Einkommensnachweise für die Zeit seit Februar 2020 vorzulegen. Darauf hat der Schuldner nicht reagiert. In einer derartigen unterlassenen Mitwirkung kann eine Obliegenheitsverletzung liegen, die unter Umständen bis zur Versagung der Restschuldbefreiung führen kann; sie rechtfertigt aber nicht unmittelbar die Aufhebung der Stundung nach § 4c Nummer 1 Halbsatz 2 InsO. Die Aufhebungsgründe nach § 4c InsO sind grundsätzlich eng auszulegen. Andernfalls würde mit der Aufhebung der Stundung im Ergebnis bereits der Entscheidung über die Restschuldbefreiung vorgegriffen; denn in zahlreichen Fällen wird der Schuldner die dann fälligen Verfahrenskosten nicht aufbringen können und damit Gefahr laufen, dass das Insolvenzverfahren nach § 207 Absatz 1 InsO eingestellt oder die Restschuldbefreiung nach § 298 InsO versagt wird.”

Siehe dazu auch den lesenswerten Beitrag von Franziska Hackenberg unter NZI 2022, 545.

BGH zur Abführungspflicht des selbständig tätigen Insolvenzschuldners

BGH, Beschluss vom 29. September 2022 – IX ZB 48/21 – Leitsatz

Hat der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners freigegeben und erzielt der Schuldner zusätzlich Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung, kann das Insolvenzgericht nicht anordnen, dass der unpfändbare Betrag in erster Linie den Einkünften des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit oder den fiktiven Einkünften aus dem angemessenen Dienstverhältnis zu entnehmen ist.

§ 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO a.F.

Schleswig-Holsteinisches LSG: für das Begehren, anstelle von Arbeitslosengeld II Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in gleicher Höhe zu erhalten, fehlt es regelmäßig am Anordnungsgrund

Das LSG Schleswig-Holstein hat am 21.6.2022, L 9 SO 71/22 B ER, entschieden – Leitsätze:

  1. In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fehlt es für das Begehren, anstelle von Arbeitslosengeld II Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in gleicher Höhe zu erhalten, regelmäßig am Anordnungsgrund.
  2. Die sanktionsbewehrte Erwerbsobliegenheit im SGB II steht dem zumindest für die Zeit eines generellen Sanktionsmoratoriums nicht entgegen.

BGH: Mindestelterngeld ist nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen

Der BGH hat am 23.02.2022 unter dem Aktenzeichen: VII ZB 41/21 entscheiden – Leitsatz:

Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen.

Aus der Entscheidung:

Rn 22: Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen.

Rn 24: Der Vollstreckungsgläubiger kann nicht verlangen, gegenüber der unterhaltsberechtigten Person besser als gegenüber dem Schuldner gestellt zu werden. Da das Mindestelterngeld, würde es der Schuldner beziehen, gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I unpfändbar wäre, kann es auch nicht zu den berücksichtigungsfähigen Einkünften des Unterhaltsberechtigten gezählt werden (vgl. Ahrens, NZI 2009, 423, 424)

Niedrigere „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Oktober 2022
1 BvL 3/21 – aus der PM des Gerichts:

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist.

Die Entscheidung betrifft alleinstehende Erwachsene, die in sogenannten Sammelunterkünften wohnen und sich seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Ihnen hat der Gesetzgeber ab dem 1. September 2019 einen um 10 % geringeren Bedarf an existenzsichernden Leistungen zugeschrieben, indem nicht mehr die Regelbedarfsstufe 1, sondern die in § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG neu geschaffene „Sonderbedarfsstufe“ der Regelbedarfsstufe 2 zugrunde gelegt wird. Dies ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar.

Es ist nicht erkennbar, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um 10 % tragen würden. Daneben kann der Gesetzgeber zwar im Sinne des Nachrangs staatlicher Leistungen grundsätzlich auch eine von den Bedürftigen nicht genutzte, ihnen aber an sich tatsächlich eröffnete und zumutbare Möglichkeit von Einsparungen berücksichtigen. Doch fehlt es an hinreichend tragfähigen Anhaltspunkten für die Annahme, dass die Voraussetzungen dafür in den Sammelunterkünften tatsächlich gegeben sind.