LSG Schleswig-Holstein: Kein höherer SGB II-Regelbedarf im Jahr 2022 trotz hoher Inflationsrate

Bezieher von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II können im gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren keine Erhöhung ihres Regelsatzes aufgrund der inflationsbedingten Preissteigerungen erlangen.  

Das geht aus einer aktuellen Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts hervor. Der 6. Senat hat am 11. Oktober 2022 in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden, dass es die Frage, ob die Höhe des Regelsatzes im Jahr 2022 trotz der hohen Inflationsrate noch ausreichend ist, um das soziokulturelle Existenzminimum in verfassungskonformer Weise zu decken, nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen muss, L 6 AS 87/22 B ER.

Zuständig für die Ausgestaltung der Leistungen zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums sei zunächst erstmal nur der Gesetzgeber, so die Begründung des Gerichts. Lediglich dem Bundesverfassungsgericht komme die Kompetenz zu, zu überprüfen, ob die Höhe der Leistungen ausreiche, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei. Es gebe aber auch keinen Grund, das Eilverfahren auszusetzen und die verfassungsrechtliche Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen, denn die gegenwärtige Regelbedarfshöhe sei nicht evident unzureichend.

Die Entscheidung, ob eine von dem Gläubiger begehrte Auskunft zur Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Drittschuldner nötig ist, obliegt nach dem Gesetz dem Gerichtsvollzieher

Hier der Hinweis auf BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – VII ZB 38/21. Der Leitsatz lautet:

Ein Antrag des Gläubigers an das Vollstreckungsgericht auf Konkretisierung der von dem Schuldner nach § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu erteilenden Auskunft in dem (Pfändungs- und) Überweisungsbeschluss oder einem diesen ergänzenden Beschluss ist unzulässig.

Der Titel dieser Meldung steht in Randnummer 9 der Entscheidung.

BGH zur Hemmung der Verjährung beim Mahnbescheid

Der BGH hat mit Urteil vom 14. Juli 2022 – VII ZR 255/21 entschieden – gerichtliche Leitsätze:

Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren hemmt die Verjährung nur, wenn der Schuldner aufgrund der Bezeichnung des Anspruchs im Mahnbescheid erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet.

Die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs kann nachgeholt werden. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme.

Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt.

Siehe auch schon unsere Meldungen aus 2015 unter …/?s=%22Hemmung+der+Verjährung+durch+Mahnbescheid%22

LSG Schleswig: Aufrechnung Strom gegen Gas nicht rechtens

Im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 40/2022 wird auf eine Entscheidung des LSG Schleswig hingewiesen. Leider ohne Aktenzeichen, aber mit Verweis auf eine NDR-Meldung.

Bei Sozialleistungsempfängern dürfen Guthaben und Nachzahlungen bei der Strom- und Gasrechnung nicht miteinander verrechnet werden. Hintergrund ist, dass der Staat die Heizkosten für Bedürftige weitgehend unabhängig von deren Höhe vollständig übernimmt, solange diese angemessen sind, während die Stromkosten aus eigener Tasche bezahlt werden müssen.

Tacheles weist auf eine andere Entscheidung zu diesem Thema hin: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 24.09.2020 – L 9 SO 72/17 – Revision anhängig BSG – B 8 SO 16/20 R

Leitsatz 1: Verrechnet ein Versorger seine Heizkostennachforderung mit einem gleichzeitig bestehenden, aus dem Regelbedarf angesparten Stromkostenguthaben, führt diese Verrechnung nicht zu einem geringeren Bedarf des Leistungsbeziehers für die Heizung.

AG Norderstedt: Energiepreispauschale gem. §§ 112 ff EStG ist pfändbar

Das Amtsgericht Norderstedt ist der Ansicht, dass die Energiepreispauschale gem. §§ 112 ff EStG pfändbar sei; 66 IN 90/19 – Beschluss vom 15.09.2022.

Das ist wahrlich nicht unumstritten. Mehr dazu – auch mit Arbeitshilfen – unter

EuGH: Ein Unionsbürger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Aufnahmemitgliedstaat begründet hat, kann nicht deshalb während der ersten drei Monate seines Aufenthalts vom Bezug von Kindergeld ausgeschlossen werden, weil er keine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat bezieht

Aus der PM des EuGH zu Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-411/20 vom 1.8.2022: “Mit seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass jeder Unionsbürger, auch wenn er wirtschaftlich nicht aktiv ist, das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten hat, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht, solange er und seine Familienangehörigen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. In diesem Fall ist ihr Aufenthalt grundsätzlich rechtmäßig. Während dieser Zeit genießen die Unionsbürger vorbehaltlich vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen die gleiche Behandlung wie Inländer. (…)

Das in Rede stehende Kindergeld stellt aber keine Sozialhilfeleistung im Sinne dieser Ausnahmebestimmung dar. Es wird nämlich unabhängig von der persönlichen Bedürftigkeit seines Empfängers gewährt und dient nicht der Sicherstellung seines Lebensunterhalts, sondern dem Ausgleich von Familienlasten.”

EuGH: Ein Unionsbürger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Aufnahmemitgliedstaat begründet hat, kann nicht deshalb während der ersten drei Monate seines Aufenthalts vom Bezug von Kindergeld ausgeschlossen werden, weil er keine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat bezieht

Aus der PM des EuGH zu Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-411/20 vom 1.8.2022: “Mit seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass jeder Unionsbürger, auch wenn er wirtschaftlich nicht aktiv ist, das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten hat, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht, solange er und seine Familienangehörigen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. In diesem Fall ist ihr Aufenthalt grundsätzlich rechtmäßig. Während dieser Zeit genießen die Unionsbürger vorbehaltlich vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen die gleiche Behandlung wie Inländer. (…)

Das in Rede stehende Kindergeld stellt aber keine Sozialhilfeleistung im Sinne dieser Ausnahmebestimmung dar. Es wird nämlich unabhängig von der persönlichen Bedürftigkeit seines Empfängers gewährt und dient nicht der Sicherstellung seines Lebensunterhalts, sondern dem Ausgleich von Familienlasten.”

BSG zur Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II und Selbsthilfe des Betroffenen (anderweitig beschafftes Darlehen)

An dieser Stelle der Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22.7.2022, B 7/14 AS 52/21 R. Diese liegt im Wortlaut noch nicht vor, daher aus dem Terminsbericht:

“Die Übernahme von Schulden bei Dritten setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme des Darlehens Mietschulden vom Jobcenter zu übernehmen gewesen wären. Gemäß § 22 Abs 8 Satz 1 SGB II steht die Übernahme der Schulden im Ermessen des Grundsicherungsträgers. Dieses Ermessen ist nach Satz 2 eingeschränkt, wenn die Übernahme der Schulden gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Der Übernahme der Schulden steht grundsätzlich nicht entgegen, wenn ein Leistungsberechtigter nach der Anzeige seines Bedarfs gegenüber dem Jobcenter mit Hilfe eines anderweitig beschafften Darlehens die Unterkunft durch Begleichung der Mietschulden an den Vermieter gesichert hat. Auch Schulden gegenüber Dritten, die Leistungsberechtigte nach dieser “Bedarfsanzeige“ beim Jobcenter eingegangen sind, (mehr …)

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde betreffend Restschuldbefreiung wegen Nichtberücksichtigung einer offensichtlich einschlägigen Übergangsvorschrift

Hier der Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2022, 2 BvR 1154/21.

Rz. 27: Das Landgericht hat mit Art. 103h EGInsO eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt und entgegen dem eindeutigen Wortlaut von § 290 Abs. 1 InsO a.F. eine schriftliche Antragstellung der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung zugelassen, ohne dafür eine nachvollziehbare Begründung zu geben. (mehr …)

BAG zur (Un-)Pfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung

PM des Bundesarbeitsgerichts: “Zahlt ein Arbeitgeber, der nicht dem Pflegebereich angehört, freiwillig an seine Beschäftigten eine Corona-Prämie, ist diese Leistung als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar, wenn ihr Zweck in der Kompensation einer tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liegt, soweit die Prämie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt. (mehr …)