Jobcenter verhängten im vergangenen Jahr 193.729 Sanktionen (+ 22.618 mehr als in 2020)

Pressemitteilung der Bundesagentur: “Die Jobcenter mussten im vergangenen Jahr 193.729 Sanktionen gegen erwerbsfähige Leistungsberechtigte aussprechen, 22.618 mehr als im Jahr 2020. Die Zahl der Leistungsminderungen liegt aber weiterhin erheblich unter dem Niveau vor der Pandemie. Im Jahr 2019 wurden noch 806.811 Minderungen ausgesprochen.

Der Rückgang gegenüber dem Jahr 2019 resultiert vor allem aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 und den Folgen der Pandemie. Einerseits wurde der Arbeitsmarkt zeitweise sehr belastet und die Zahl an Vermittlungsvorschlägen und Qualifizierungen sank. Andererseits gab es durch die Schutzverordnungen mehr telefonische und weniger persönliche Beratungen. Telefonische Beratungstermine werden ohne Rechtsfolgen verschickt, ein mögliches Versäumnis bleibt dann folgenfrei. Deswegen sank der Anteil der Minderungen für Terminversäumnisse, der sonst stets bei 75 Prozent liegt, auf rund 52 Prozent. (…)”

Vom Sanktionsmoratorium zum Sanktionsmoratömchen 

Vor einer Woche berichteten wir RegE zum SGB II-Sanktionsmoratorium: “Meldeversäumnisse” bleiben sanktioniert. Deutliche Kritik von Harald Thomé und dem Paritätischen.

Thomé: “…, also die Sanktionen nach § 32 SGB II, werden weiterhin sanktioniert. Diese Meldeversäumnisse machen aber ca. 70 % aller Sanktionen aus.

Zudem besteht die Gefahr, dass die sog. Pflichtverletzungen, also die Sanktionen nach § 31a SGB II, die jetzt im Rahmen des Moratoriums nicht sanktioniert werden dürfen, nachträglich noch sanktioniert werden. Denn nach § 31b Abs. 1 S. 5 SGB II ist bis zu sechs Monate nach dem sog. Pflichtversäumnis noch eine Sanktion möglich. Es besteht somit die ernste Gefahr, dass das schönklingende Sanktionsmoratorium ab Jan. 2023 mit nachträglich durchgeführten Sanktionen durch die Jobcenter ausgehöhlt werden.

Soviel zum Thema “MEHR FORTSCHRITT WAGEN” durch die Ampel. …”

Paritätischer: “… Indem die Sanktionsregelungen bei Meldeversäumnissen bestehen bleiben, bekennt sich die Bundesregierung zur Fortführung der Mehrzahl der Sanktionen.  (mehr …)

RegE zum SGB II-Sanktionsmoratorium: “Meldeversäumnisse” bleiben sanktioniert

Letzte Woche hatten wir über den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung eines Sanktionsmoratoriums berichtet. Nun hat die Bundesregierung gestern einen Regierungsentwurf beschlossen und dabei eine wesentliche Änderung vorgenommen.

Meldeversäumnisse (§ 32 SGB II) bleiben sanktioniert. Denn nunmehr heißt es im RegE nur noch: “§ 31a ist bis zum Ablauf des 31. Dezember 2022 nicht anzuwenden.”

Quelle und mehr (z.B. Stellungnahmen zum RefE): BMAS

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung eines Sanktionsmoratoriums

Das BMAS meldet: “Mit der Einführung eines Bürgergeldes ist vorgesehen, die vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2019 geforderte Neuregelung der Leistungsminderungen (sogenannte Sanktionen) vorzunehmen. Ein Moratorium soll die geltenden Sanktionsregelungen nun im Hinblick darauf bis zum Jahresende 2022 befristet außer Kraft setzen. Danach soll das Bürgergeld die Mitwirkungspflichten neu regeln.”

Referentenentwurf; dieser sieht einen neuen § 84 SGB II vor: “Die Anwendung der §§ 31a, 31b und 32 wird bis zum 31. Dezember 2022 ausgesetzt.“

Stellungnahmen: (mehr …)

Bundestag: Antrag der Linken zur Existenzminimum-Sicherung abgelehnt

Der Bundestag hat gestern nach halbstündiger Aussprache einen Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Existenzminimum sichern – Inflationsausgleich bei Regelsätzen garantieren“ (20/100) abgelehnt. Die Linke stimmte für ihren Antrag, die AfD enthielt sich, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab. Einen weiteren Antrag der Linken mit dem Titel „Würde und Teilhabe ernst nehmen – Sanktionsfreie Mindestsicherung statt Bürgergeld“ (20/271) überwies das Parlament zur weiteren Beratung in den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales.

Quelle und mehr: Bundestagsmeldung

IAB: “Schneller ist nicht immer besser: Sanktionen können sich längerfristig auf die Beschäftigungsqualität auswirken”

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) meldet: “Erwerbsfähige Leistungsberechtigte können sanktioniert werden, wenn sie gegen die ihnen obliegenden Pflichten verstoßen. Sanktionen können sich allerdings negativ auf die Qualität der aufgenommenen Beschäftigung auswirken und damit eine nachhaltige Erwerbsintegration erschweren. Eine neue IAB-Studie zeigt, dass solche Auswirkungen langfristig Bestand haben: Rund fünf Jahre nach der Sanktionierung ist die Beschäftigungsqualität bei Sanktionierten geringer als bei nicht Sanktionierten.” – Quelle und mehr

IAB: Warum Frauen seltener sanktioniert werden als Männer

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) meldet: “Wer Arbeitslosengeld II bezieht und ohne triftigen Grund gegen die Regeln der Grundsicherung verstößt, dem drohen Sanktionen. Analysen zur Sanktionswahrscheinlichkeit zeigen, dass Frauen im Vergleich zu Männern viel seltener sanktioniert werden. Männer sind etwa doppelt so häufig von Sanktionen wegen Meldeversäumnissen und dreimal so häufig von Sanktionen aufgrund anderer Pflichtverletzungen betroffen als Frauen. Diese Unterschiede lassen sich zum großen Teil, aber nicht ausschließlich durch Kinderbetreuungspflichten erklären.” – Quelle und mehr

Keine Sanktionierung bei telefonischen Meldeterminen

Hier der Hinweis auf Drucksache 19/25435, S. 119: Dort stellt MdB Jessica Tatti (DIE LINKE.) die Frage 128: “Vertritt die Bundesregierung bzw. vertritt die Bundesagentur für Arbeit nach Kenntnis der Bundesregierung die Auffassung, dass es den Jobcentern rechtlich möglich ist, nach ohne wichtigem Grund nicht wahrgenommenen Terminen für telefonische Beratungen mit Rechtsfolgenbelehrungen unter Angabe der Rechtsgrundlage § 59 SGB II i. V. m. § 309 SGB III Sanktionen nach § 32 SGB II zu verhängen?”

Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Anette Kramme vom 16. Dezember 2020: “Dies ist rechtlich nicht möglich. Die Rechtsgrundlage (§ 59 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch) sieht ausschließlich Meldungen in der Form eines persönlichen Erscheinens vor. Telefontermine sind hiervon nicht erfasst.”

Bundesrat lehnt Entschließung zur Abschaffung von SGB II-Sanktionen für unter 25jährige ab

Die Länder Berlin und Bremen haben dem Bundesrat einen Antrag vorgelegt, nachdem die Bundesregierung aufgefordert wird, die Sanktionsvorschriften im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu ändern (BR-Drucksache 358/20). Dabei sollten unter anderem folgende Punkte Gegenstand der Gesetzesänderung werden:

  1. Streichung der Sanktionen für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
  2. Ausschluss von Sanktionen gegenüber Bedarfsgemeinschaften mit Kindern und Jugendlichen.

Letzen Freitag wurde dieser Antrag abgelehnt (TOP 21)

LSG Sachsen: Behörde hat Zugang von Meldeaufforderung nachzuweisen

Immer mal wieder ist streitig, ob ein Behördenschreiben beim Adressaten angekommen ist. Dann wird von Behördenseite gerne so argumentiert, dass das Schreiben angekommen sein müsse, weil es ja nicht zurückgekommen sei. Und was ist, wenn just nur der Zugang von “missliebigen Schreiben” streitig ist?

Hierzu hat das Sächsisches Landessozialgericht eine klare Entscheidung gefällt (Urteil vom 28.5.2020, L 3 AS 64/18, Scan), die in der Sozialen Beratung bekannt sein sollte:

  1. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Minderungsentscheidung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB ll ist, dass dem Leistungsempfänger eine hinreichend bestimmter Aufforderung zur Meldung (vgl. § 59 SGB ll i. V. m. § 309 Abs. 1 Satz 2, Abs, 2, 3 Satz 1 SGB III) bekannt gegeben wurde.
  2. Für den Umstand, dass eine Meldeaufforderung den Adressaten erreicht hat, trägt nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB ll in Verbindung mit § 37 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB X der Grundsicherungsträger die objektive Beweislast, wenn der Zugang der Aufforderung bestritten wird. (mehr …)